Räume … (1)

Schon im Herbst wollten wir den Flur neu streichen, haben Farbkarten verglichen. Ein heller Gelbton war der Favorit. Immer wieder kam was dazwischen. Dann haben wir es auf den Frühling verschoben. Und nun, am Ende der ersten Woche, in der wir wegen des Kontaktverbots viel Zeit miteinander in der Wohnung verbracht haben, war es soweit:

Neugestaltung Flur

Tastend Räume suchen und finden, in denen wir uns geborgen fühlen. Jeder für sich und wir miteinander. Jeden Tag neu. Räume, in denen wir sein können. Einfach nur sein. In denen das Schweigen Raum gewinnt um in das Unvertraute hineinspüren zu können und mehr und mehr das Unwillkommene willkommen heißen.

 

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Privileg in diesen Zeiten

In diesen Zeiten,
– in denen wir Abstand halten – auch in der WG – so gut es geht;
– in denen keine öffentlichen G-ttesdienste gefeiert werden;
– in denen neue Räume und Formen der Begegnung im Internet entstehen,
die das persönliche Miteinander, die Gegenwart des anderen nicht ersetzen können
– in denen die ganz normale Gastfreundschaft an einem Schabbat nicht gelebt werden kann

bedeutet es umso mehr, in Gemeinschaft den Schabbat zu begrüßen

der Segensspruch über den Kerzen – wie schon so oft an diesem Tisch
der Segensspruch über dem Wein, ein Becher wie immer gefüllt mit Traubensaft wird dieses Mal nicht von einem zum anderem weitergegeben – wie sonst. Heute an jedem Platz ein Glas mit etwas Traubensaft
der Segensspruch über den Schabbatbroten. Die können wir teilen. Wie sonst.

Momente des Innehaltens. Einfach sein. Da sein. ER / SIE ist da am Schabbat Vajikra („er rief“). Welche Stimme hören wir. Welche überhören wir. Alles lassen können wie es ist. Die ungelösten Fragen sein lassen. Innehalten und warten auf den Raum, der sich öffnen wird. In uns. Um uns.

 

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Gabenzaun – Hilfe für arme Menschen

Gabenzaun: 23. März 2020 abends

Wie kann man in Zeiten der Corona-Epedemie nachdem ein Kontaktverbot gilt, armen und obdachlosen Menschen helfen. In Berlin gibt es an verschiedenen Orten Zäune, an denen Essenspakete und Hygiene-artikel für wohnungslose Menschen hinterlassen werden. In unserer Nachbarschaft am Zaun des Kinderbauernhofs Ecke Adalbertstraße / Bethaniendamm in Kreuzberg wurde sogar ein Schlafsack hinterlassen.

Einladung zu Lebensmittelspenden an einem Gabenzaun

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Polen so nah – Polen so weit

Mitte der Woche ruft eine Gefängnisseelsorgerin an und fragt, ob eine junge Frau aus Polen für zwei oder drei Wochen zu uns kommen kann. Sie wird nächste Woche aus dem Gefängnis entlassen und will nach Polen zurück. Das geht aber nicht gleich. Wir sprechen darüber beim Frühstück:

– Man weiß nicht, mit wem sie Kontakt hatte
– Kann man nicht wissen. Bei niemand.
– Was willst du? Bessere Quarantäne als Knast gibt es nicht im Moment.
– Genau.
– Dann kann sie doch kommen.
– Weiß man, warum sie im Gefängnis ist?
– Warum willst du das wissen?
– Na ja, ich denke wegen Drogen. Weil Kottbuser Tor ist nah.
– Da kommt sie an alles dran.
– Also, wenn wegen Drogen, dann will ich nicht, daß sie kommt.
– Iris soll rausfinden, ob sie wegen Drogen sitzt.
– Wie geht das dann, daß sie nach Polen kommt. Die lassen doch keinen mehr rein.
– Die Grenze ist dicht.
– Eigene Staatsbürger müssen die nehmen.
– Wäre doch einfacher direkt vom Gefängnis. Wenn sie bei uns war, muß sie doch irgendwie in Quarantäne.
– Iris soll rausfinden, wie das genau gehen kann, daß sie zurück kann nach Polen
– Die Gefängnisfrau kann doch nachfragen, was bei der Entlassungsvorbereitung schon gelaufen ist.

Zwei Tage später meldet sich die Gefängnisseelsorgerin wieder. Sie hat mit der Gefängnissozialarbeiterin gesprochen. Die junge Frau kann direkt im Gefängnis die erforderlichen Personaldokumente bekommen und damit nach Polen ausreisen und braucht den Platz bei uns nicht.

Zum Weiterlesen:
Noch mehr Frühstücksgepräche

 

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Kein Platz in der Unterkunft …

… denn die hatten keinen Platz in der Unterkunft bekommen (Lukasevangelium 2,7)

Kurz vor 23.00 Uhr steht eine Freundin unserer Gemeinschaft vor der Tür. In drei Notübernachtungsstellen hat sie umsonst um eine Schlafstelle nachgefragt, denn alle waren geschlossen worden.

Inzwischen sind alle Ausgabestellen der Berliner Tafel geschlossen. Auch die meisten Suppenküchen sind zu. Die Franziskaner in Pankow geben Essen in Gefäßen aus, ebenso die Missionaries of Charity (Schwestern von Mutter Theresa) in Kreuzberg . Das Mittwochscafe von Sankt Marien-Liebfrauen gibt Lunchpakete und Kaffee aus. Es ist verboten den Gemeindesaal – wie sonst – zu öffnen, damit die Menschen sich hinsetzen können. Sie müssen sofort weitergehen, wenn sie Lunchpaket und Kaffee erhalten haben.

Die Ärmsten trifft der Corona-Virus am Härtesten. Davon aber kein Wort in der zweistündigen Sendung von „Hart aber Fair“. Dort werden – abgesehen von alleinerziehenden Müttern – die Probleme der Mittelschicht verhandelt.

Andre Hoek, der selbst jahrelang obdachlos war, schreibt in seinem Weblog über die derzeitige Situation von Obdachlosen.

 

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Sprachlos …

Eine ehemalige Mitbewohnerin hat uns am Sonntag besucht. Ihre Oma, zu der sie ein sehr enges Verhältnis hat, war drei Tage vorher verstorben und ist ohne sie beerdigt worden. Wegen des Corona-Virus konnte sie nicht zur Beerdigung anreisen. Sie hat ihre Traurigkeit mit uns geteilt.

„Gibt es ein Lied, das deine Oma besonders gern mag, das dich mit ihr verbindet und das wir mit dir singen können?“
„Meine Oma mochte besonders gern Marienlieder“

Da müssen wir leider passen. Unser ältester Mitbewohner – katholisch – singt nicht, und die beiden anderen Katholiken unserer WG sind aus anderen Erdteilen. Dann fällt ihr noch ein Lied ein, das wir mit ihr singen können:

Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert zu dir.
Mein Herr und mein Gott, gib alles mir, was mich fördert zu dir.
Mein Herr und mein Gott, nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen Dir.
(Nikolaus von Flue)

 

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Einmal ist immer das erste Mal …

Beim Samstagsfrühstück tauschten wir uns dieses Mal in kleiner Runde mit acht BesucherINNEn aus. Eine Frau, die fast jeden Samstag dazu kommt, erzählte, daß ihre Tafel-Ausgabestelle geschlossen hat. In der letzten Zeit erzählte sie immer wieder, daß es sehr wenig sei, was sie dort noch erhält. Der Internetseite der Berliner Tafel sagt, daß im März 50 Prozent weniger Lebensmittelspenden hereingekommen seien – wohl aufgrund von Hamsterkäufen und mehrere Ausgabestellen geschlossen sind. Als am Nachmittag zwei Bewohner losgegangen sind, um für unsere Gemeinschaft Lebensmittel abzuholen, haben sie nichts erhalten.

Nachtrag:
Mo 16. März: Inzwischen sind 38 Ausgabestellen von Laib und Seele geschlossen

 

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