Purim – oder das Fest vom glücklichen Löwen

Roswitha ruft aus dem Marien-Stift an. Weil der Chefkoch auch im Wohnzimmer ist, schalte ich das Telefon auf laut. Ich vermute, daß sie wegen Christian Schmidt anruft und die beiden sich möglicherweise getroffen haben. Aber sie weiß noch gar nichts von seinem Umzug ins Marienstift, sondern sie ruft an um mir zu Purim zu gratulieren und einen frohen Feiertag zu wünschen. Sie erkundigt sich: Und – wie feiert ihr das? Gehst Du in die Synagoge? Nein, dieses Jahr findet nichts in den Synagogen statt. Es gibt vier Gebote an Purim – erkläre ich ihr. Eines ist, daß man die Megilla hört, das ist die Ester-Rolle. Deswegen wird es an verschiedenen öffentlichen Plätzen in Berlin die Lesung des Buches Ester geben. 

Als ich aufgelegt habe, fragt der Chefkoch: Purim ist heute? Ja, von heute Donnerstagabend bis morgen Freitagabend. Er will es ganz genau wissen: Purim – Fest von glücklicher Löwe? Ja. (Die Geschichte steht hier.) Inzwischen ist Herr Tunesien ins Zimmer gekommen und hört den letzten Satz mit und staunt über das vermeintliche jüdische Fest mit einem Löwen. Das konnte aber ganz schnell aufgeklärt werden.

Eine Lego-Purim-Story ist hier (langsames Englisch mit englischen Untertiteln zum Mitlesen):

 

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Gut angekommen …

Gestern ist unser ältester (und längster) Mitbewohner, Bruder Christian Schmidt, ins Seniorenstift Sankt Marien umgezogen. Die ersten Gespräche darüber hat der Delegat für die älteren Mitbrüder, Pater Kügler, mit ihm im November geführt. Für Christian war immer klar, daß er in Kreuzberg bleiben will. Er hat viele Freunde und Bekannte hier und kann die Kontakte hier besser halten als im Peter-Faber-Haus der Jesuiten in Kladow, das doch etwas abgelegen ist.

Am Dienstag hatten wir noch unseren Kommunitätsabend, bei dem Klaus Mertes zu Gast war. Wir konnten noch mit Christian Eucharistie feiern. Klaus hat das als Abschiedsmahl sehr bewegend auf die aktuelle Situation von Christian und unserer Gemeinschaft bezogen. Für alle ist es ein großer Einschnitt – besonders für Christian, der ganz klar äußerte, daß es der Ort für seinen letzten Lebensabschnitt ist. 

Klaus Mertes, zu dessen Kommunität in Charlottenburg Christian gehört, und Iris haben Christian am nächsten Morgen ins Marienstift begleitet. Er hat im Wohnbereich 4 ein großes Zimmer mit Blick auf den Garten. Eine Bewohnerin, Roswitha, kennt er bereits von der gemeinsamen Zeit in der Pfarrgemeinde Sankt Michael. Bei Familie Bretzinger hat wöchentlich in den letzten fünfzehn Jahren ein Bibelkreis stattgefunden, an dem Christian regelmäßig teilgenommen hat bis zum ersten Lockdown. Sobald es die Situation zuläßt soll der Bibelkreis im Marienstift stattfinden.

Wegen der Pandemie war die Aufnahmeprozedur nicht ganz einfach. Eigentlich darf nur eine Person Christian begleiten, aber Klaus Mertes ist der Bevollmächtigte von Christian  für gesundheitliche Fragen und Iris kennt die alltäglichen Abläufe und Vorlieben von Christian. So durften ausnahmsweise beide ins Haus und mußten gleich einen Corona-Schnelltest machen bevor die Gespräche mit dem sehr aufgeschlossenem Pflegedienstleiter und den Verwaltungsmitarbeitern stattfinden konnten. 

Eigentlich dürfen keine Besucher*innen in die Wohnbereiche. Der Pflegedienstleiter hatte großes Verständnis dafür, daß die Mitbewohner in der Naunynstraße aus eigener Anschauung  von Iris über die Wohnsituation von Christian etwas erfahren wollen. Und so wurde eine Ausnahme gemacht. Christian hatte schon zu den ersten beiden Mitarbeitenden Kontakt aufgenommen und erste Gedanken geäußert, wie er seine Kunstwerke an den Wänden anordnen möchte.

Auch ein Essensplan wurde kopiert und mitgegeben, weil besonders der Chefkoch wissen will, wie die kulinarische Versorgungslage von  Christian im Pflegeheim ist. 

Speiseplan 24.- 28. Februar

Außerdem fragte er, ob seine Lieblingskirche, die Johannesbasilika in der Nähe sei. Zwei Kilometer werden es schon sein. „Dann wohne ich ja bei der Nuntiatur.“ Dieser Gedanke gefiel ihm so gut, daß er ihn mehrmals wiederholte. Beim Abschied nach fast einer Stunde meinte er: „Sag allen, daß ich gut angekommen bin“.

Für uns ist es sehr gewöhnungsbedürftig, daß Christian nicht mehr bei uns ist. Beim Frühstück heute morgen meinte einer der Mitbewohner vom 3. Stock: „In der Nacht ich mehrmals in seine Zimmer geschaut, ob alles in Ordnung mit Christian. Und kein Christian mehr da bei uns.“

Man kann Christian gerne besuchen. Näheres dazu per eMail.

Zum Weiterlesen:
Aphorismen von Bruder Christian Schmidt
Samstagsfrühstück: Monastische und andere Traditionen
Am 8.8. – 88 Jahre
Krippe 2016 – gestaltet von Christian Schmidt, Maria Cruz und Rana
Krippe 2018 – gestaltet von Christian Schmidt und Maria Cruz
Krippe 2019 – gestaltet von Christian Schmidt und Gerhard
Geburtstagsgedicht – von Christian bei jedem Geburtstag vorgetragen
Besuch von P. Markus Franz (mit Foto von Christian)
Video: Christian Schmidt – Jesuit sein und die Kunst
Einen ersten Einblick in das Seniorenstift St. Marien gibt es hier

 

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Frühling im Wäscheschrank

Unser Wäscheschrank hat reichlich Zuwachs bekommen. Eine Freundin unserer Gemeinschaft hat uns Bettwäsche, Handtücher und Geschirrtücher geschenkt. Wir sind jetzt wieder gut eingedeckt und können Einiges weitergeben. Vielen Dank dafür.

Es ist für uns immer wieder eine große Freude ganz unterschiedliche Formen der Unterstützung durch unsere Freunde oder Menschen, die auf uns hingewiesen wurden, zu erleben.

Zum Weiterlesen: 
Ein etwas anderes Care-Paket
Überraschung Jerusalem
Wir sind … von den Socken 
Kräutersträuße – Kräuterbuschen
Vom Reichtum eines ganz normalen Sonntags im November xx


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ein letzter Gruß

Beim vorletzten Kommunitätsabend wartete eine Überraschung auf uns: Alle, die Rockn Rollf noch als MitbewohnerINNEN gekannt hat, bekamen eine CD mit fünf Liedern, die er im letzten Herbst mit Musikerfreunden aufgenommen hat.


Drei der Lieder gibt es auch in älteren Fassungen auf You.tube:

Roll away the Pain (Video beginnt in unserem Treppenhaus)   
Den Song hat er unserer WG gewidmet 

Horses and Hares (Song)

Good bye Old Friend (Song)

Horses and Hares (Konzert im Juli 2020)

Und einige Poster von Rockn Rollf als Zeichner / Karrikaturist für unsere WG sind: hier  oder hier  oder hier  oder  hier oder hier  oder hier.

Und hier Facepainting für einen glücklichen Löwen:

Rockn Rollf wird heute um 14.00 h in der Nähe von Potsdam beigesetzt. Wir werden ihn nicht vergessen. 

Weitere Nachrufe von Ex-Mitbewohner*innen und Freunden unserer WG sind   

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Ein Weg, der immer weiterführt …

… ist ein Artikel im Tagesspiegel zum 40. Geburtstag der Kreuzberger Regenbogenfabrik überschrieben, der in diesem Jahr gefeiert werden soll: 

Von der Besetzung bis zur Legalisierung dauerte es Jahrzehnte – heute ist die Regenbogenfabrik eines der erfolgreichsten Lebens- und Wohnprojekte:
Der Durchgang durch die enge Einfahrt in das Hofgelände mutet wie eine Zeitreise an. Auf der Lausitzer Straße künden prachtvoll sanierte Stuckfassaden von veränderten Zeiten, und drinnen auf dem Hof taucht man ein in die regenbogen-bunte Alternativszene der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Genau so ist es ja auch: Auf dem Höhepunkt der Hausbesetzerzeit, als im damaligen West-Berlin über 100 Häuser vor der Abrissorgie im Namen einer fehlgeleiteten Stadterneuerung gerettet wurden, wurde das heruntergekommene und Abriss-bedrohte Industriegelände am 14. März 1981 von den Aktiven „instandbesetzt“. Die Regenbogenfabrik war geboren – und hat sich in den vergangenen vierzig Jahren zu einem der erfolgreichsten und nachhaltigsten Wohn- und Lebensprojekte der inzwischen wiedervereinten Stadt entwickelt…        Der ganze Artikel steht hier.

Franz Keller (SJ), der vor sieben Jahren verstorben ist und zum Urgestein unserer WG gehört, hat die Besetzer*innen tatkräftig und kenntnisreich bei vielen der anfallenden Renovierungsarbeiten unterstützt und sich auch in der Holzwerkstatt engagiert. Seit dieser Zeit gibt es immer wieder Querverbindungen zwischen hier und dort.

zum Weiterlesen:
Website der  Regenbogenfabrikx
mehr zu Franz Keller


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Weltgebetstag gegen den Menschenhandel

Heute begeht die katholische Kirche den Weltgebetstag gegen den Menschenhandel. Sr. Margit Forster und Sr. Mabel Mariotti sind / waren eng mit unserer Gemeinschaft verbunden. Sie sind 2006 nach Berlin gekommen, haben in unserer Gemeinschaft mitgelebt. Daraus ist die Beratungsstelle von Solwodi Berlin für Migrantinnen überwiegend aus afrikanischen Ländern entstanden. Ein Schwerpunkt ist die Arbeit mit Frauen, die von Menschenhandel und oft auch Zwangsprostitution betroffen sind. Wie sie zu diesem Engagement gekommen sind oder dieses Engagement zu ihnen erzählen sie im Einfach-Ohne-Buch (Seite 111), einer Textsammlung der WG Naunynstraße:  

Einfach offen – Comboni Missionsschwestern in Berlin

 

Ohne Sprache….
Ich konnte damals noch kein Deutsch, als ich zu Straßenexerzitien nach Berlin kam. Es war verrückt. Jetzt weiß ich es, aber ich glaube, ich habe das erst richtig begriffen, als ich schon im Flugzeug war, unterwegs nach Berlin. Ich wusste nur einfach, dass ich das machen musste. Es war ein Moment des Umbruchs für mich. In meinem Orden nannten sie es „Krise“. Und als ich ein paar Monate in Rom war, geparkt, weil meine Oberinnen nicht wussten, was sie mit mir machen sollten, erinnerte ich mich an Gabriella, die mir einmal von den Straßenexerzitien erzählt hatte. Es war der richtige Zeitpunkt. Straße, wieder auf der Straße. Und ich hatte Lust, Gott weg von den Strukturen, weg von Regeln und vom Geplanten zu begegnen. Und du, Margit, warst auch in Rom. Warst die einzige Deutsche in unserem Orden, aber was war mit der deutschen Sprache?

Ach, die war weg. Die war irgendwie weg, ich konnte sie nicht so leicht abrufen, weil ich sie lange nicht benutzte. In den 27 Jahren die ich weg war, habe ich die Sprache nicht benutzt. Nur im Urlaub habe ich Fränkisch mit meinen Eltern gesprochen. Aber die Straßenexerzitien wollte ich einfach machen. Es war der Moment. Ich wusste, dass Christian Herwartz einmal im Jahr Straßenexerzitien in Nürnberg anbot, aber ich hatte nur im Februar Zeit und da gab es keine geplanten Exerzitien. Dann hat Christian gesagt, dass wir nach Berlin kommen könnten. Ich wollte aber nicht alleine nach Berlin, dann habe ich dich, Mabel, gefragt ob du mitkommen möchtest.

Ohne Regeln…
Wir kamen in der Nacht am Kotti an, und alles um uns herum war einfach ganz anders als im Generalat in Rom. Es war die erste Begegnung mit der Straße. Wir kamen in der Naunynstraße an, und alle hießen uns herzlich willkommen. Ich spürte sofort, dass ich an diesem Ort etwas zu finden hatte, oder zu suchen. Es ist schwierig zu beschreiben, aber ich fühlte mich so angezogen, dass ichmich selbst überraschte, als ich sagte, hierher muss ich zurückkommen. Am Tag darauf gab uns Christian ein Blatt mit den Orten, die wir besuchen konnten, am Rande der Stadt, Orte der Armut, Orte des Widerspruchs, des Widerstands, wo Geschichten der Vergangenheit und der Gegenwart sich vermischten. In der Gemeinschaft gibt es keine Regeln, sagte Christian, nur die Gastfreundschaft. Der Kopf konnte das nicht begreifen, aber das Herz spürte einen großen Frieden und eine große Freude, eine Erweiterung. Das war klar: die Gastfreundschaft ist die goldene Regel, und wenn man sie lebt, braucht man keine anderen, sie sind sogar ein Hindernis, eine Ablenkung.

 

Ohne Uhr…
Und dir Margit wurde die Uhr genommen.
Ja, an einem Sonntag als der Gottesdienst eine Stunde später anfing und wir mit Christian auf dem Gras vor der Thomas Kirche warteten. Sie war weg und ich wusste nicht für wie lange, aber ich wusste es war ok. Acht Monate später beim Auszug habe ich sie wiederbekommen. Die Zeit ohne Uhr war Zeit ohne Druck, ohne Zwänge, ohne etwas zu müssen. Einfach leben. Es war nicht wichtig zu wissen wie spät es war. Nur früh morgens hat der Wecker geklingelt, damit ich um sechs im Café Krause, dem Obdachlosentreff in der Thomas Kirche, sein konnte, um mit den Obdachlosen zu frühstücken. Auch da hatte ich keine Funktion, ich war nur da um mit diesen Menschen zu frühstücken. Der Pfarrer hatte mich gefragt, ob ich das machen würde. Ich bin einfach hingegangen und habe mich dazugesetzt und gefrühstückt. Ich war eine von ihnen. Die Begegnungen haben sich ergeben, dort wie auch im Hause oder auf der Straße. Ich hatte Zeit und konnte sehen wie Menschen kämpfen um zu überleben, materiell oder in zerbrochenen Beziehungen.
Die Obdachlosen hatten oft ganz normale Familien und Beziehungen und sind dann durch irgendwelche Umstände wie Krankheit oder Arbeitslosigkeit auf der Straße gelandet. Manche von ihnen waren fast glücklich auf der Straße. Das war mein Eindruck. Im Café Krause waren viele fröhliche Menschen. Manche sind auch gekommen, um dort zu duschen. Manche hatten kleine Tätigkeiten, wie Flaschensammeln. Sie hatten Zeit auch zwei Teller Suppe zu essen, miteinander zu reden. Und ich war da und hatte auch Zeit so wie sie.

Ohne Aufenthaltserlaubnis…
Nach den Exerzitien war es mir klar: Ich musste nach Berlin zurückkommen. Auch wenn es wegen der Sprache verrückt war. Aber in der Gemeinschaft gab es viele Sprachen, und jemand war immer bereit zu übersetzen. In der Gemeinschaft, die schon seit dreißig Jahren am selben Ort bestand, hatten schon viele Menschen von unterschiedlichen Sprachen, Religionen, Kulturen und Richtungen einen Ort gefunden. Dann fragte ich meine Oberin, ob ich vier bis maximal sechs Wochen nach Berlin kommen konnte.

 

Und du, Margit, warst auch in einer Krise mit deiner Arbeit Rom. Es war dir klar, dass eine Reflexion – und es war deine Aufgabe, diese auf Ordensebene zu organisieren – nur mit dem Kopf keinen Sinn machen würde. Ich habe dich bewundert, dass du den Mut gehabt hast, deine Arbeit im Generalat aufzugeben und auch nach Berlin zu kommen, auf die Spuren, die du während der Exerzitien gesehen hattest.

Ja, das war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. In der Gemeinschaft der
Naunynstraße und auf den Straßen Berlins habe ich das Leben wiedergefunden, Freude über die Zugehörigkeit zu den Suchenden.

 

Nach sechs Wochen in Berlin waren wir mit unserer Suche noch am Anfang. Das war das einzige was wir wussten. Auch nach drei Monaten war es so. Als Italienerin hätte ich mich nach drei Monaten anmelden sollen, sonst war ich auf eine Art illegal. Die Anmeldung aber hatte mit einer Sesshaftigkeit zu tun, und ich wusste nur jeden Tag, dass ich den Tag dort verbringen musste. Christian, der uns beide begleitet hat, hat uns in dieser Wahrnehmung bestärkt. Und die Gemeinschaft war einfach ein freier und offener Raum, wo Leere und Fülle sich begegneten. Menschen, die alle nur das voneinander wussten: dass auch die andere oder der andere auf der Suche war, auf der Suche nach dem Glauben, nach einem neuen Auftrag, nach einer neuen Richtung, nach einem Obdach. Irgendwie waren wir alle ohne „Aufenthaltstitel“. Alle in diesem offenen Raum, der keine Grenzen kennt.

Ohne zu wissen wie es weiter geht…

 

Dass ich das mit 51 sagen würde, hätte ich mir auch nie träumen lassen. Gleichzeitig war es gerade dieses Nichtwissen, das stimmig war. Mir wurde langsam klar, dass eine Art zweite Berufung im Raum stand und dass diese mit „einfach leben“ zu tun hatte, ohne viele große Reflexionen und Planungen. Es war mir weder wichtig noch hilfreich zu wissen, wie die nächsten sechs Jahre verlaufen sollten. Es war mir wichtig und hilfreich dagegen, den einfachen Menschen nahe zu sein. Nicht in einer Funktion als Chefin oder Oberin, sondern ganz einfach als Schwester, als eine unter anderen.

Und was war mit dem Comboni Charisma an diesem Ort?

 

Das Comboni Charisma neu entdecken…

Ich hatte angefangen zu einem Sprachkurs zu gehen um die deutsche Sprache zu lernen. Die letzte Sprache, die ich mir als Comboni Missionsschwester vorgestellt hatte zu lernen. Gerade zu der Zeit, als unsere einzige Gemeinschaft im deutschsprachigen Raum, in Nürnberg, geschlossen wurde, weil in Frage gestellt wurde, ob Deutschland für die Combonischwestern ein Missionsland war. In Berlin aber hatte ich meine Berufung so stark gespürt, sowohl in der Gemeinschaft als auch auf den Straßen einer Stadt, die für mich ein Symbol war für Einheit, für die Vereinbarung von Gegensätzen, eine Stadt, die noch die Spuren der Ungerechtig-keit und Unterdrückung zeigte. In dieser Zeit bekam Margit einen Anruf von Sr. Juvenalis, der wir einmal begegnet waren und mit der wir über unsere Suche nach einer neuen Aufgabe in dieser Stadt als CMS gesprochen hatten, weil wir diese neue Berufung so stark spürten. Sie sagte, dass Sr. Lea Ackermann zwei Ordensschwestern in Berlin suchte, um eine Beratungsstelle von SOLWODI aufzubauen und Frauen auf der Flucht und Opfer von Menschenhandel und anderen Formen von Gewalt zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, ein neues Leben zu finden. Ich hatte schon in den USA im Rahmen meines Studiums der Psychologie in diesem Bereich gearbeitet. Und jetzt war ich froh über solch eine Aufgabe, in der ich nicht als Direktorin wie in Dubai sondern als Begleiterin arbeitete. Diese Arbeit war ein klarer Auftrag Gottes, unser Charisma unter diesen Frauen zu leben, sie zu beschenken und uns von ihnen beschenken zu lassen. Wir wollten besonders afrikanische Frauen, die wegen Rassismus oft mehr benach-teiligt sind, unterstützen. Diese Frauen stärken uns hier in Berlin in unserem Charisma, weil unsere Leidenschaft für ihre Inklusion in die Gesellschaft und für die Gegenseitigkeit im Glauben ein Reflex der Leidenschaft Combonis für eine Welt ohne Sklaverei und ohne Grenzen ist. Für Comboni war Afrika die „schwarze Perle, die in der Kirche noch fehlte“.

 

Nur Dankbarkeit…
Und jetzt zurück zum Anfang: Einige von diesen Frauen haben wir im Laufe der Zeit in der Naunynstraße unterbringen können, weil sie in Not waren und ein Obdach brauchten. Wir wussten, es war der richtige Ort, ein offener Raum der Inklusion und der Grenzenlosigkeit. Dort haben alle einen Aufenthalt im Reich Gottes, und das ist genug. Und diese Frauen haben das Leben wieder neu gefunden, weil sie sein durften wie sie sind. Ja, das ist die Naunynstraße: der Ort wo jeder und jede sein darf wir er oder sie ist, das ist das Reich Gottes auf der Erde, das Reich Gottes, für das Comboni und andere Held*innen der Geschichte der Menschheit gelebt haben und für das sie gestorben sind.
Am Ende dieser unvollständigen Erzählung bleibt von uns beiden einfach eine tiefe Dankbarkeit.

 

Mabel und Margit

Ein Artikel über die Solwodi-Beratungsstelle ist hier.

Ergänzung im Februar 2021:
Margit ist im April 2020 kurz vor ihrem Renteneintritt gestorben, Mabel ist nach Italien zurückgekehrt. Die Übergabe der Beratungsstelle an ihre Nachfolgerinnen war wegen des bevorstehenden Renteneintritts von Margit bereits vorbereitet. 
Mehr vom Einfach-ohne-Buch, einer Textsammlung der Wohngemeinschaft Naunynstraße

Gedenkgottesdienst für Michael Walzer (SJ), Franz Keller (SJ) und andere

Jedes Jahr Ende Januar oder Anfang Februar treffen wir – Gemeindemitglieder Sankt Michael), (Ex-)BewohnerINNEN der WG Naunynstraße und Mitglieder der CAJ (christliche Arbeiterjugend) uns in Sankt Michael. Ursprünglich war es ein Gottesdienst mit Nachtreffen für Michael Walzer (SJ), einen der Begründer der WG Naunynstraße, der 1986 im Alter von 38 Jahren an einem Gehirntumor verstorben ist. 

Dieses Jahr ist also zum 35. Mal dieser Gottesdienst gefeiert worden, in kleinerer Form und ohne Nachtreffen mit Essen, Austausch und gemütlichem Beisammensein. Ich staune, daß jedes Jahr noch Menschen kommen, die Michael gekannt haben und sich mit ihm in der CAJ engagiert haben.

Kerzen für die Verstorbenen

Im Januar 2014 ist dann Bruder Franz Keller verstorben, der seitdem auch ins Gedenken einbezogen wird, das sich inzwischen erweitert hat auf verstorbene Mitarbeiter der Gemeinde, (Ex-)Bewohner und Freunde der WG Naunynstraße sowie der CAJ: Pfarrer Schlüter, Godehard Pünder, Dieter Kirschner, Johannes Siebner (SJ), Jutta Becker, Heinrich Müller, Karlheinz, Bernd, Tiger-Lilli, Petra Löbenau, Rolf Kutschera (Rockn Rollf) und Christian Becker.

Wir waren sehr bewegt als Alain am Schluß des G-ttesdienstes das Lied von kleinen Vogel sang, das wir sonst immer gemeinsam singen.

Wir waren sehr traurig, daß Christian Herwartz nicht bei uns sein konnte.

Zum Weiterlesen:

Erinnerungen an Franz Keller von Bewohnern
Ein Nachruf von Franz Keller ist hier oder auch hier.
Ein Nachruf und andere Texte von / über Michael Walzer ist hier
Mehr zu Heinrich Müller (genannt „der Eiermann) ist hier
Nachruf Dieter Kirschner
Zum Tod von Margit Forster und Jutta Becker
Zum Tod von Provinzial Johannes Siebner (SJ)

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Lichtmess und die schwarze Krippe

Lichtmess, Darstellung des Herrn, Maria Reinigung – die Bezeichnungen für den 40. Tag nach Weihnachten sind unterschiedlich – so unterschiedlich wie die Schwerpunkte, die zu unterschiedlichen Zeiten der Kirchengeschichte in den Blick genommen wurden. Bei uns steht die Krippe immer bis zum 2. Februar, dem Tag, an dem früher die Weihnachtszeit endete. Dieses Jahr waren wir, von wenigen Ausnahmen abgesehen, allein mit der Krippe – sozusagen im Corona-Modus. 

Unsere Krippe ist ein besonderes Kunstwerk. Sie wurde von einem in Simbabwe bekannten Künstler geschnitzt und einer Gemeinde im damaligen Ostberlin geschenkt. Die Gemeinde wollte die Krippe nicht haben, weil die Figuren schwarz sind. Auf Wegen, von denen wir nicht mehr wissen, kam sie zu uns.

In der Weihnachtszeit kommen immer wieder Freunde, Bekannte, Menschen aus der Nachbarschaft, aus der katholischen oder evangelischen Kirchengemeinde zu uns, setzen sich (mit oder ohne uns) an die Krippe, haben eine Zeit der Stille, zünden ein Teelicht oder ein Räucherstäbchen an … Auf unserem Wohnzimmertisch stehen Tee und Kaffee – manchmal auch Plätzchen bereit. Jede/r kann sich bedienen. So anders die Weihnachtszeit dieses Jahr 2020.

In den letzten Jahren hat immer unser ältester Mitbewohner die Krippe mit dem einen oder der anderen, die hier wohnen aufgebaut. Dieses Jahr war ihm das zum ersten Mal – aus gesundheitlichen Gründen – nicht mehr möglich. 

So sah unsere Krippe dieses Jahr aus:

Krippe 2020

Krippe 2016 (Video mit Bibliolog)
Krippe 2017
Krippe 2018
Krippe 2019
Einen Beitrag in diesem Blog zum Inhalt vom Fest Darstellung des Herrn / Maria Lichtmess und den Bezügen zur jüdischen Tradition kann man hier nachlesen.

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Frühstücksgespräche Advents- und Weihnachtszeit (15)

Unter der Woche frühstücken wir jetzt zu Corona-Zeiten immer um 8.30 Uhr – also die BewohnerINNEN, die zuhause sind und nicht nachts gearbeitet haben. Seit Ende Dezember ist unser ältester Mitbewohner pflegebedürftig und kann nicht mehr ins gemeinsame Wohnzimmer zum Frühstück kommen. Er wird in seinem Zimmer versorgt. Deshalb haben wir unsere gemeinsame Frühstückszeit unter der Woche auf 9.00 Uhr verschoben. Wenn Menschen aus so verschiedenen Ländern, Kulturen, Religionen und Alters zusammen sind, dann kommen ganz unterschiedliche Anliegen und Positionen ins Gespräch.

Einige Themen, die uns im Dezember und Januar bewegten:

– Botschaften von Krankheiten
– Homöopathie: Möglichkeiten und Grenzen bei Blasenentzündung
– Vorbeugung von Rückfällen bei Suchterkrankungen (Vermeidung von zu wenig essen, zu wenig trinken, zu wenig Schlaf)
– Zeichentrick-Film „Engel Arthur“ im DDR-Fernsehen – wie war das möglich?
– Wahrzeichen Bundesadler – Adler auf Länderflaggen
– Möbeltausch
– Beginen-Wohnprojekte
– Reinhard hat Namenstag und erzählt von seinem Namenspatron
– Veränderungen beim Mittwochscafe: Es findet in der Kirche statt
– Gemeinsamkeiten und Unterschiede von koscher und halal
– Was erzählt man in unterschiedlichen Kulturen woher die Kinder kommen
– Wer sind die Aramäer
– Erfahrungen mit Sportunterricht
Simultankrippe vom Kloster Siessen
– Was ist das Besondere am Münchener Oktoberfest
– Folgen von Corona für die Gastronomie nach Corona
– Teetrinken – Teekultur – Teestuben
– Umgang mit alten Menschen in unterschiedlichen Kulturen
– warum Putin für Russland gut ist
– Amtseinführung vom neuen amerikanischen Präsidenten
– Coca Cola auf Corona-Schnelltest: positives Testergebnis
– Erfahrungen mit Fallschirmspringen im Tandem
– politische und wirtschaftliche Situation in der Kaukasus-Region
 
 
 
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