Erinnerungen an Christian – Bruchstücke

Maria S. schreibt: 

Erinnerungen an Christian. Bruchstücke, unsortiert, einfach was oben auf ist.

Bei einem Besuch in Berlin. Durch die Straße gehend.
An einem Platz kommt ein Obdachloser auf uns zu. Er sagt ganz aufgeregt etwas , was ich nicht verstehe.
Christian erklärt „Er wollte Dich auf das Müllauto hinter uns aufmerksam machen. Dich warnen. Ihm ist es schon passiert, das er mit Müll zusammen eingesammelt wurde.“

In Basel, bei Exerzitien auf der Straße:
Abschluss Fußwaschung. Ich sage warum willst Du allen die Füße waschen? Wir können das einer nach dem anderen für den je anderen tun.  Christian greift das auf.  Im Nachhinein , auch heute noch, denke ich, dass das schmerzhaft war für ihn.

Erste Begegnung:
Beim Treffen der Arbeitergeschwister. In der Runde erzähle ich was von mir- ich bin Schwäbin-  Christian: „Kannst Du auch deutsch reden?“ Nachher kommt er her, er entschuldigt sich nicht, aber er greift gefühlsmäßig seine Barschheit auf und ist mir nahe. Das ist der Beginn eines Weges.

Bei einem Besuch in Berlin.
Wir sitzen auf einer Bank an einem See und teilen eine Schokolade.
Er spricht von Jesus als Freund. Es war leibhaftig spürbar, wovon er sprach.

Bei Straßenexerzitien.
Wir suchen einen Ort, an dem wir von Erfahrungen erzählen können.
Das Erzählen gehört zu den Exerzitien. Heute noch trage ich ein befreiendes Lachen in mir: Christian geht einfach los und sucht einen Ort, an dem wir erzählen. Ich gehe neben ihm und es ist als ob wir direkt in der Bibel spazieren gehen.

Bei einem Treffen der Arbeitergeschwister.
In einer Pause. Ich gehe mit Christian ein paar Schritte. „Was ist ein Priester?“  Christian: „Ein Priester erinnert dich an die Würde, die Du in Dir trägst. Prophet, König, Gesalbter.“

Bei einem Besuch in Berlin.
Wir gehen zu einer Wagenburg, Köpenick. Wir dürfen das zu Hause einer Frau besuchen, die dort lebt, sie arbeitet halbtags in einer Schulküche. Sie selbst ist nicht da. Eine Ikone steht unter ihrem Schlafplatz. Christian: „Spürst Du es?  …   Einheit….“
Ich : „Ja“.

Ein Besuch in Aalen.
Christian lässt einen Spruch da. „Gehe eine Meile um einen Kranken zu besuchen, zwei um einen Gefangenen zu sehen. Gehe drei Meilen (oder mehr) um bei einem Freund zu sein.“

Christian stirbt und die Worte mit denen er den Tod begrüßt sind so echt wie sein ganzes Leben.

(Anmerkung: Gemeint ist das Gebet, das Christian im Januar 2022 schrieb:
DANKE
Du Tod, Sprung ins Leben
Du kündigst dich an
Du bist die abschließende Freude
Ich danke Dir für Dein Kommen
         Amen   Christian)

Er hat mich öfters gebeten von meinen Erfahrungen zu sprechen. (Auch mit denE Teegläsern als Hilfsmittel), ich konnte es nie.

Jetzt, mit ihm zusammen zu sprechen, das geht.

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Ostermontag: grabauswärts

Heute am Ostermontag hat uns ein Gedicht von Andreas Knapp begleitet:

unter der tränen trauerflohr
glaube
kommt vom hören des namens

es braucht keinen gärtner zur grabespflege
hoffnung
ist dem tod einen atemzug voraus

niemanden einbalsamieren
liebe
heißt loslassen können

(aus: Mit Pauke und Salböl, Gedichte zu Frauen der Bibel, 
Würzburg 2021)


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Zu Beginn der Karwoche – Hungertuch 2022

 

Hungertuch 2021 – Du stellst meine Füße auf weiten Raum

Gerade sehe ich, daß dieser Beitrag in der Warteschleife hängengeblieben ist. Am Anfang der Karwoche haben wir dieses Hungertuch im Wohnzimmer aufgehängt. Es ist eine Erinnerung an Christian, aus dessen Nachlaß wir es bekommen haben.

A ist eine Zeichnung, der ein Röntgenbild von einem Fuß zugrunde liegt, der durch Polizeigewalt in Südamerika schwer verletzt wurde. Im Mittelteil des Tryptichons kann man erkennen, daß es sich um einen komplizierten Bruch handelt.

Der Bibelvers, der dazu ausgewählt wurde, stammt aus Psalm 31 Vers 9: Du stellst meine Füße auf weiten Raum. In der Kombination mit diesem geschädigten, verletzten Fuß eröffnet das eine ganz neue Perspektive. Auch für Leben mit Brüchen, verletztes Leben gibt es eine Hoffnungsperspektive. In den Füßen spiegelt sich die Befindlichkeit von allen Organen (Reflexzonenmassage), also des ganzen Menschen.

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Nachruf im Tagesspiegel: Christian Herwartz (SJ)

Vor gut drei Wochen hat uns Jörg besucht. Viele Jahre war er Pfarrer der evangelischen Emmauskirche in Kreuzberg und mit Christian Herwartz immer wieder in diversen Anliegen verbunden. Jörg schreibt schon viele Jahre Nachrufe für den Tagesspiegel über ganz normale Berliner. Wir haben lang mit ihm gesprochen. Nun ist gestern – also im Tagesspiegel vom 10. April – eine sehr gekürzte Fassung erschienen und zwei Wochen später auch online – und zwar hier  

Nachruf Christian Herwartz im Tagesspiegel vom 10. April 2022

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Die vollständige Fassung des Nachrufs wird Anfang Mai in einem anderen Medium publiziert. Wir dürfen sie dann auf dem Blog übernehmen. Dieser ausführliche Nachruf wird dann unter dem Headerbild in der Spalte „Seiten“ abrufbar sein, aus presse- und medienrechtlichen Gründen nach der Erstveröffentlichung. Anhören kann man den Beitrag unter dem Titel „Christian Herwartz – ein Leben jenseits der Komfortzone“ beim Deutschlandfunk und zwar hier.

Am 9. Juni 2022 gab es im Rahmen der Morgenandacht einen Beitrag (4 Minuten) über unser offenes Samstagsfrühstück

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#WMDEDGT April 2022: Immer wieder dienstags …

Am 5. des Monats ruft die Nachbarbloggerin immer zum Tagebuchbloggen auf unter dem Motto „WMDEDGT?“ (kurz und knackig für „Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?“). Manchmal melde ich mich auch hier im Blog zu Wort und dieses Mal habe ich wieder einiges zu erzählen. 

Ich bin der Tisch von der Wohngemeinschaft Naunynstraße mitten in Kreuzberg  im ehemaligen SO 36. Ich stehe hier mitten im Wohnzimmer seit 38 Jahren und habe schon viele kommen und gehen sehen. Zur Zeit steht neben mir ein kleiner Kollege, auf dem ein Bild von Christian mit Blumen und Kerzen steht. Christian hat die WG mit Michael und Peter 1979 in der Sorauer Straße – auch in Kreuzberg – begonnen. Da war ich auch schon dabei und bin 1984 dann mit umgezogen. Christian ist Ende Februar gestorben. Und sein Tod beschäftigt alle hier sehr.

Christian Herwartz im Herbst 2021

Hier sieht man Christian in Kladow, im Garten des Seniorenheims der Jesuiten. Dorthin mußten wegen Corona die Jesuiten der Altersgruppe 70plus. Es ist das letzte Foto, das wir von ihm haben. 

Zur Zeit wohnen nur zehn Leute um mich herum. Seit letzter Woche findet das Frühstück wieder um 8.00 h statt, zu dem alle kommen, die nicht unterwegs in der Arbeit oder bei anderen Terminen (Ämter, Jobcenter …) sind. Jobcenter findet ja im Moment auch online statt. 

Beim Frühstück waren zwei Menschen aus der Nachbarschaft dabei, die öfter dazu kommen. Es gibt immer interessante Gesprächsthemen. Die beiden Gäste sind politisch sehr interessiert und einer seit Jahrzehnten in der Kommunalpolitik in Kreuzberg aktiv. Da gibt es dann immer interessante Neuigkeiten. Morgen, am Mittwoch, wir der Maria-von-Maltzan-Platz in unserer Nachbarschaft eingeweiht. Maria von Maltzan  war während der Zeit des Nationalsozialsozialismus in einerA Widerstandsgruppe aktiv und hat Juden in ihrer Wilmersdorfer Wohnung versteckt und versteckten Juden geholfen. Später war sie als Zirkustierärztin unterwegs. Am Ende der Naunynstraße ist ein Rondell, das nach ihr benannt wird. Dort hatte sie ab 1984 eine Tierarztpraxis, in der sie die Tiere von Punkern und armen Leuten umsonst behandelt hat. 

 Außerdem wurde noch von Mabels Besuch am Montag erzählt. Sie hat mit ihrer Mitschwester Margit hier ein neun Monate gelebt. Es war eine Art Schwangerschaft. Danach haben sie die Berliner Beratungsstelle von Solwodi gegründet.  Dort bekommen Frauen, die von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffen sind, Hilfe. Bei uns haben auch schon welche gewohnt, wenn in der Zufluchtswohnung von Solwodi kein Platz mehr war. Unser Ex-Mitbewohner Rockn Rolf hat auf mir die Karrikaturen zur Illustration der Solwodi-Website gezeichnet, die hier zu sehen sind. Mabel hat hier von ihren Erinnerungen an die Zeit in der WG erzählt. Für die Gedenkwand hat sie uns ein Foto von Margit mitgebracht, die vor zwei Jahren verstorben ist. 

Ein Besuch hat von der Angst erzählt, durch die steigenden Lebensmittel- und Energiepreise nicht mehr mit dem Geld von der Grundsicherung auszukommen. 

Um die Mittagszeit war es dann recht ruhig hier – abgesehen von einigen Frühjahrsputzaktivitäten – bis dann am Nachmittag der Chefkoch von der Arbeit nach Hause kam. Ein Mitbewohner hatte schon einige Packungen Champignons, die wir von der Tafel bekommen haben, vorbereitet. Sie wurden zu einer Pizza für unseren Gemeinschaftsabend vorbereitet, der jeden Dienstag stattfindet.

Um 18.00 Uhr treffen wir uns immer zum Abendessen. Zwei waren nicht da, weil sie gerade an Straßenexerzitien teilnehmen. Nach dem Essen sitzen wir immer zusammen und erzählen, was uns bewegt: Was uns freut, was uns beschäftigt, was schwer ist.

Einer hat eine Ausbildung zum Lokführer begonnen und muß sich in eine neue Tagesstruktur hineinfinden. Ein anderer hofft, daß er endlich in den Sprachkurs einsteigen kann, für den er im März 2020 eine Zusage hatte, der aber wegen dem Lockdown ausgefallen ist. Ein anderer beschäftigt sich mit einer längeren Perspektive für seine Zukunftsplanung …

Danach machen wir eine Viertelstunde Pause und dann treffen sich die BewohnerINNEN, die miteinander singen, meditieren, beten, Texte aus heiligen Schriften hören und sich darüber austauschen wollen – eine Form von Gottesdienst, zu dem jeder etwas beitragen und mitbringen kann. Danach wird es ruhig hier im Wohnzimmer. 

Mehr zu Maria-von-Malteizan
Mehr Beiträge zu #WMDEDGT April 2022 sind hier am Ende des Postings

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Ramadan mubarak 1443 / 2022

Letzten Freitag war Neumond, also sowohl für Muslime als auch für Juden der Beginn eines neuen Monats. Juden und Jüdinnen werden am Frühlingsvollmond, also am 15. Nissan das Pessachfest feiern. Für Muslime hat ihr Fastenmonat Ramadan begonnen. Das ist immer eine schöne Gelegenheit, sich an muslimische ehemalige Bewohner zu erinnern (Muslima hatten wir noch nicht unter den Bewohnerinnen) und einen gesegneten Ramadan, RAMADAN MUBARAK zu wünschen und dann von dem einen oder anderen zu erfahren, wie es ihm jetzt geht und was er macht. Auch unseren muslimischen Freunden, Freundinnen und Bekannten wünschen wir einen inspirierenden, friedvollen und gesegneten Fastenmonat. 

 

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Erinnerungsfoto (4): interreligiöses Friedensgebet

Die Anschlägen auf die Twin Towers in New York am 11. September 2001 waren der Anlaß für das interreligiöse Friedensgebet, das ab Januar 2002 jeden Monat am ersten Sonntag auf dem Gendarmenmarkt vor dem Deutschen Dom stattfand. Beim Vorbereitungstreffen wurde ein Text zu einem aktuellen Thema skizziert, den dann ein Mitglied der Gruppe – sehr oft Christian – ausformulierte. Dieser Text wurde dann am Anfang des Treffens verteilt, auch an interessierte Umstehende, von denen sich gelegentlich der eine oder die andere dazustellte. 

Betend den Mut finden zum Sprechen stand auf dem Transparent, das zwei der Teilnehmenden hielten. 

Interreligiöses Friedensgebet Gendarmenmarkt 2019 – Foto Anna Augustin

die Seite vom interreligiösen Friedensgebet Berlin ist hier

weitere Erinnerungsfotos sind hier

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