Am 5. des Monats ruft die Nachbarbloggerin immer zum Tagebuchbloggen auf unter dem Motto „WMDEDGT?“ (kurz und knackig für „Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?“). Manchmal melde ich mich auch hier im Blog zu Wort und dieses Mal habe ich nur wenig zu erzählen.
Ich bin der Tisch von der Wohngemeinschaft Naunynstraße mitten in Kreuzberg im ehemaligen SO 36.
Um kurz nach sechs Uhr ging die Wohnungstür zum ersten Mal. Und weil der Schlüssel von Sankt Michael im Regal neben mir mitgenommen wurde, weiß ich, daß jemand auf dem Weg zum Bäume gießen war, weil es die letzten Tage so heiß war und nicht geregnet hat. Mit dem Schlüssel kommt man nämlich auch in einen Nebenraum mit Wasserquelle.
Die Frühstücksrunde um acht Uhr, die sich um mich versammelte, war sehr klein – nur drei Menschen. Einer, der eine Lernschwäche hat und nicht englisch lernen konnte, beklagte, daß er sich bei den Demos der LGBT-Community ausgeschlossen fühlt, weil die Redebeiträge immer auf englisch sind und nicht übersetzt werden. Außerdem wurde über das Flüchtlingscamp in unserer Nachbarschaft auf dem Oranienplatz gesprochen. Es gab schon 2015 ein Camp. Da haben die Geflüchteten gegen die Residenzpflicht protestiert und gegen andere schlechte Bedingungen. Dieses Mal geht es um strukturellen Rassismus. Die Geflüchteten aus der Ukraine werden nämlich unterschiedlich behandelt. Wenn sie einen ukrainischen Paß haben, bekommen sie gleich eine Aufenthaltserlaubnis und Zugang zum Gesundheitswesen und zum Arbeitsmarkt. Für die afrikanischen Studierenden, die aus der Ukraine geflüchtet sind, sieht das ganz anders aus. Wenn sie überhaupt eine Chance haben wollen hier zustudieren, dann müssen auf einem Sperrkonto 11 000 – elftausend – Euro hinterlegt werden. Wer hat das denn? Das ist jetzt ein Anlaß für den Protest. Ein Afrikaner, der im März an mir Platz genommen hat, bekam letzte Woche das amtliche Schreiben, daß er in sein Herkunftsland zurück muß. Für den Fall, daß er nicht freiwillig ausreist, wird die Abschiebung angekündigt. Er hat gehofft, daß er sein Medizinstudium hier beenden kann. Er hat begonnen deutsch zu lernen und auch schon eine kleine bezahlte Tätigkeit gefunden. Er wohnt bei einer Verwandten, die schon seit vielen Jahren in Deutschland ist und einen gesicherten Aufenthaltsstatus hat. Trotzdem: Es sieht schlecht aus für ihn. In der taz heißt es:
Besonders offensichtlich wird dieser staatliche Rassismus im Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine. Während Besitzenden eines ukrainischen Passes in vorbildlicher Geschwindigkeit Schutzstatus und Arbeitserlaubnis gewährt wurde, gestaltet sich die Situation für Drittstaatenangehörige, insbesondere die zahlreichen Studierenden aus afrikanischen Ländern, die aus der Ukraine geflohen sind, deutlich schwieriger. (von hier )
Während des Frühstücks zog schon der Duft des Schabbatbrots, das im Ofen war, durch die Wohnung. Tagsüber wurden einige Telefonate geführt. Freunde in Frankfurt müssen sich wegen Corona isolieren, und ein geplanter Besuch kann nicht stattfinden. Einige Details für Exerzitien auf der Strasse in Kreuzberg, die nächste Woche beginnen, müssen noch geklärt werden. Einkäufe fürs Wochenende wurden organisiert.
Mittags hat ein Bewohner ein Video auf seinem Smartphone gezeigt. Er kommt aus einem Land, das früher zur Sowjetunion gehörte. Heute lebt dort eine russische Minderheit. Das Video spielt in einem Bus dort. Der Busfahrer läßt ukrainische Musik laufen. Eine russische Familie, die mitfährt, beschwert sich sehr lautstark darüber. Sie schreien, daß der Busfahrer die Musik abstellen soll. Sie wollen diese Scheiß-Sprache nicht hören. Die anderen Fahrgäste solidarisieren sich und sagen, daß sie aussteigen sollen, wenn ihnen das nicht paßt.
Für das Abendessen bereitet der Chefkoch einen Eintopf mit Hühnerfleisch, Kartoffeln und Gemüse vor, der nach dem Anzünden der Schabbatkerezen und dem Segen über Wein und Brot verspeist wird. Danach ist es erst einmal ruhiger. Heute ist kein Konzert in der Trinkteufel-Kneipe im Erdgeschoß. Kurz vor Mitternacht wird der Computer hochgefahren für den Schabbat-G-ttesdienst in der Central Synagogue in New York.
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