Feiertage: die eigenen und die der anderen

Weil in unserer Gemeinschaft Menschen aus unterschiedlichen religiösen Traditionen leb(t)en und wir auch Besuch von Menschen aus unterschiedlichen kulturellen und religiösen Traditionen bekommen, haben wir Berührung mit ganz unterschiedlichen Feiertagen – eine Chance zum Gespräch und der Auseinandersetzung mit dem Eigenen und mit dem Anderen.

Der Frühlingsanfang begann astronomisch am Montag, den 20. März 2023, um 22:24 Uhr mitteleuropäischer Zeit (MEZ). Frühere Generationen kannten noch den Frühlingsanfang am 21. März. Warum der Frühlingsanfang nicht mehr am 21. März ist, sondern in Richtung 19. März wandert, steht hier.

In der nächsten Zeit fallen ganz unterschiedliche Feiertage an:

Heute am 21. März ist für Aleviten der Gedenktag des Heiligen Ali – Nevruz. Er war ein Cousin Mohammeds und gehörte zu dessen ersten Anhängern. Er wird „Tor des heiligen Wissens“ genannt, weil er in seinem Leben sich für Wissenschaft und Gerechtigkeit eingesetzt hat.

Aleviten treffen sich heute, um Erzählungen aus seinem Leben zu hören. Seine Lehren werden vorgetragen und diskutiert, was sie für das Leben heute bedeuten. Außerdem wird das Frühlingsfest Nevruz gefeiert. 

Die Bahai feiern heute ihr Neujahrsfest Naw-Ruz. Für sie beginnt das Kalenderjahr 180. Das Fest wird fröhlich begangen In manchen Familien gibt es Geschenke.

Für Muslime beginnt am 23. März der Fastenmonat Ramadan – ein Monat des Fastens, der Buße und Versöhnung. Da der muslimische Kalender ein Mondkalender ist, wandert der Ramadan durch die Jahreszeiten.

Unser Freund Roj, den viele vom Samstagsfrühstück her kennen und der regelmäßig ein hinduistisches Gebet singt, feiert als Hindu am 30. März Rama Navami. Dabei wird an Rama gedacht, dem Helden des Ramajana-Epos. Er wird in Pujas verehrt. Sein Leben wird erzählt oder als Theaterstück aufgeführt. 

Der Frühlingsvollmond fällt in diesem Jahr auf den 6. April. Da das Pessachfest auf den Frühlingsvollmond fällt, feiern Juden den ersten Sederabend am 5. April. In der jüdischen Tradition beginnt der Tag am Vorabend. Es wird der Auszug aus Ägypten, die Befreiung aus der Sklaverei gefeiert. Acht Tage lang werden Mazzen (ungesäuerte Brote) gegessen. 

Auch das christliche Osterfest orientiert sich am Frühlingsvollmond. Weil Ostern als Tag der Auferstehung von Jesus am Sonntag gefeiert werden muß, findet das christliche Osterfest Sonntag nach dem Frühlingsvollmond statt, dieses Jahr am 9. April. Da die meisten orthodoxen Christen einen anderen Kalender haben, feiern sie Ostern eine Woche zeitversetzt am 16. April. Wir feiern deshalb in unserer Gemeinschaft zwei Mal Ostern (gilt übrigens auch für Weihnachten und Nikolaus).

Vom Termin des Ostersonntags aus werden die anderen Feiertage begangen. Der Sonntag vor Ostern ist der Palmsonntag. Er eröffnet die heilige Woche Am darauffolgenden Freitag, dem Karfreitag, wird an den Tod von Jesus erinnert.

Wir wünschen allen in und mit ihren Gemeinschaften frohe und inspirierende Feiertage.

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Sankt Martin oder von der Gleichwürdigkeit aller Menschen

Große Aufregung, weil eine eMail von einem Freund unserer Gemeinschaft kam, er sei in Antalya gestrandet, bestohlen worden: Kein Geld, keine Papiere – alles weg. Die deutsche Botschaft habe Ersatzpapiere ausgestellt, aber Flug und Hotelrechnung müssen bezahlt werden – insgesamt fast 1000 Euro. Wie kann das sein? Vorgestern hat er aus dem Krankenhaus angerufen. Sein eMail-Account wurde geknackt … Ganz vergessen, daß er heute Namenstag hat.

Dieses Jahr gibt es wieder einen Martinsumzug, das Martinsspiel vor der neuen St. Michaelskirche in Kreuzberg mit anschließendem Kinderpunsch und Gebäck zum miteinander Teilen. Heute vormittag wurde schon die Bühne vor der Kirche aufgebaut.

Gestern Abend haben wir den Text von Christian Herwartz aus dem Buch „Männer Gottes“ gelesen, der immer wieder auf neue Facetten von Martin von Tours aufmerksam macht. Im Zentrum steht die Gleichwürdigkeit aller Menschen: 

Martin von Tours: Engagiert die Gleichheit mit dem Nächsten leben“. Der Text ist für ein Buch über Männerspiritualität entstanden. Christian hat ihn auf sein Blog gestellt und zwar hier

„Als Einsiedler führte Martin ein asketisches Leben der Reinigung. Einige Brüder schlossen sich seiner Lebensweise an. Es entstand eine Gemeinschaft. Martin wurde Abt des entstehenden Klosters Marmoutier und damit zur einem Pionier des gallischen Mönchtums. Das Volk in Tours entdeckte ihn. Sie spürten seine königlichen Leitungsfähigkeiten, mit denen er aus einer inneren Klarheit heraus Entscheidungen fällte und sich der Sorgen seiner Mitmenschen annahm. Auch als Bischof lebte Martin in einer Einsiedelei und blieb seiner monastischen Berufung treu. Seine Neigung zum kontemplativen Leben und die Demut eines Mönches halfen ihm bei seinen pastoralen Verpflichtungen. Dabei lag ihm besonders die Heilung der Kranken am Herzen, wie Sulpicius Servus immer wieder erzählt.“

Anmerkung von Wolfram:
Ich möchte anmerken, daß es sich nicht um Marmoutier im Elsaß handelt, dessen ehemalige Klosterkirche heute Pfarrkirche St. Martin ist, sondern um Marmoutier in Sainte-Radegonde-en-Touraine, auf dem linken Loire-Ufer der Stadt Tours gegenüber gelegen, zu der es durch Eingemeindung seit 1964 gehört.
Die können einen mit der Namensgleichheit aber auch verwirren!

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Sommer-Kommunitätsabend – ganz anders

Karte: Gottesdienst für Reisende &Bleibende

Gestern fand der erste „Gottesdienst für Reisende und Bleibende“ in Sankt Marien-Liebfrauen, der von der Gruppe „Liturgie-Labor“ vorbereitet und entwickelt wurde. Er soll eine Zwischenstation auf den vielen Wegen des Alltags sein, mit Ruhe zum Ankommen, Impulsen zum Weiterdenken und zu guter Letzt: Segen und Gemeinschaft bei Brot und Saft. Weil (Ex-)BewohnerINNEN beteiligt waren, haben wir uns für einen Ortswechsel entschieden und den Gemeinschaftsabend von unserem WG-Wohnzimmer in den Wrangelkiez  zu St. Marien-Liebfrauen verlegt. Da waren wir gleich in der Nachbarschaft der Sorauer und Oppelner Straße, wo 1979 unsere WG mit Michael Walzer und Christian Herwartz begonnen hat bevor sie 1984 in die Naunynstraße umzog. 

Die erste halbe Stunde zwischen sechs und halb sieben Uhr war Zeit zum Ankommen im Kirchenraum bei meditativer Musik vom Keybord. Vor dem Altarraum war eine Schale mit glühenden Kohlestückchen vorbereitet. Jede/r konnte ein Weihrauchkorn für die eigenen Anliegen und Fragen auf die Kohle legen. Zwischendurch fanden auch zwei Tauben ihren Weg ihren Flug in die Kirche zu einer Erkundung des Kirchenraumes.

Es war ein schlichtes, meditatives Angebot, das zur Stille und zum zur Ruhe kommen einlud mit Liedern, einem kurzen biblischen Impuls über Sarah und Abraham, die aufbrachen in ein unbekanntes Land (1 Mose 12) mit einigen Worten der Ermutigung. Vater-Unser-Gebet und Segen. Wer wollte konnte sich noch persönlich segnen lassen.

Anschließend gab es im Kirchhof noch Saft, Trauben und Brot. In unserer Runde saß auch Schwester Prisca, 93 Jahre alt und abgesehen von einer Hörschwäche noch voll fit, und erzählte aus ihrem bewegten Leben: Von der Flucht nach dem 2. Weltkrieg aus Eger in die DDR, vom illegalen Grenzübertritt um in der BRD ins Kloster eintreten zu können, von Lebens- und Arbeitsorten als Schneiderin und Lehrerin einer Pflege-vorschule ihrer Ordensgemeinschaft bis zu ihrem Leben im Seniorenheim in der Nachbarschaft, wo sie sich um besonderer Weise um einige andere Bewohner kümmert. Zu ihren Schützlingen gehört auch unser Ex-Mitbewohner Bruder Christian, den sie regelmäßig besucht und die Kommunion bringt. 

Pfarrgarten

Nach einiger Zeit verabschiedeten wir von der WG uns in den wunderschön gestalteten Pfarrgarten mit duftenden Kräutern (Salbei, Rosmarin, Minze, Lavendel …) um unsere Austauschrunde von der letzten Woche unter einem Baum zu haben. Der Chefkoch hatte noch Buletten und Kartoffeltaschen im kulinarischen Gepäck. Die Atmosphäre  hat uns sehr gut getan („wie bei Ausflug“). Deshalb beschlossen wir, diese Art des Gemeinschafts-abends in den nächsten Wochen fortzusetzen solange die „Gottesdienste für Reisende und Bleibende“ angeboten werden – nämlich bis zum Ende der Berliner Sommerferien, also immer dienstags ab 18.00 Uhr bis zum 17. August. (Mehr dazu auf der Terminseite .

Mehr Beiträge zu unseren Kommunitätsabenden

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nahe Ferne – ferne Nähe und ein Segen

Es ist früh am Morgen. Ein Mitbewohner kommt die Treppe im Hausflur herunter. Er ist auf dem Weg zur Arbeit. Fast auf Gesichtshöhe hält er sein Smartphone vor sich und scheint hineinzuschauen. Ich höre eine Frauenstimme, erkenne die Stimme seiner Mutter, auch wenn ich die Sprache nicht verstehe.  Sie klingt ganz nah, obwohl mehr als 2800 Kilometer zwischen den beiden liegen.

Es wird still. Er ist auf meiner Höhe, dreht sich zu mir und sagt: Meine Mutter. Macht jeden Morgen Kreuz über mich und sagt Worte von Gott. Ich: Sie segnet Dich?
Er: Ja, macht Segen. Jeden Morgen – wenn ich gehe aus Haus.  Schon wenn ich war kleine Kind und gehen in Schule. – Und jetzt auch.

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Schabbat-Beginn

Schabbat-Essen

Etwa einmal im Monat treffen wir uns derzeit am Freitagabend zum Schabbatbeginn. Nach dem Zünden der Schabbatkerzen, den Segens-sprüchen über Wein und Brot gibt es ein leckeres Essen, das der Chef-koch vorbereitet hat – wie letzten Freitag:

Wir nehmen uns Zeit für Gespräche, für den Austausch, was wir erlebt haben und was uns beschäftigt. Es ist eine entspannte Zeit miteinander. Gelegentlich ist auch der eine oder andere Gast dabei.I

Immer wieder ist uns ein Textauszug von Abraham Heschel, einem der bedeutendsten jüdischen Denker des 20. Jahrhunderts, aus seinem – leider vergriffenen Buch „der Sabbat“ Anregung:

Man kann das jüdische Ritual als die Kunst charakterisieren, der Zeit gültige Formen zu geben, als Architektur der Zeit. Seine meisten Begehungen – der Sabbat, der Neumond, die Festzeiten, das Sabbatjahr und das Jobeljahr hängen an einer bestimmten Stunde des Tages oder der Jahreszeit. So bringt z.B. der Abend, der Morgen oder der Nachmittag die Aufforderung zum Gebet mit sich. Die Grundtatsachen des Glaubens liegen im Bereich der Zeit. Wir gedenken an den Tag des Auszugs aus Ägypten, an den Tag als Israel am Sinai stand und unsere messianische Hoffnung ist die Erwartung eines Tages, des Endes der Tage.

Sechs Tage der Woche kämpfen wir mit der Welt, ringen wir dem Boden seinen Ertrag ab; am Sabbat gilt unsere Sorge vor allem der Saat der Ewigkeit, die in unsere Seele gesenkt ist. Unsere Hände gehören der Welt, aber unsere Seele gehört einem anderen. Sechs Wochentage lang suchen wir die Welt zu beherrschen, am siebten Tag versuchen wir, das Selbst zu beherrschen.

Drei Taten Gottes kennzeichnen den siebten Tag: Er ruhte, er segnete und er heiligte den siebten Tag (1 Mose 2,2).

Arbeit ist eine Fertigkeit, vollkommene Ruhe aber ist eine Kunst. Sie ist das Ergebnis eines Einklangs von Körper, Geist und Phantasie. Um einen Grad an Vollkommenheit in der Kunst zu erreichen, muß man sich ihrer Ordnung unterwerfen, muß man der Trägheit abschwören. Der siebte Tag ist ein Palast in der Zeit, den wir bauen. Er besteht aus Einfühlsamkeit, Ausdruck der Freude und Suchen nach Ruhe. In seinem Bereich erinnert eine feste Ordnung an die Nähe zur Ewigkeit… Was ist so kostbar, daß es das Herz ergreift? Der Grund ist, daß der siebte Tag eine Goldgrube ist, wo man das kostbare Metall des Geistes finden kann, mit dem man den Palast in der Zeit baut, ein Bereich, in dem der Mensch bei Gott zu Hause ist, ein Bereich, in dem der Mensch bestrebt ist, der Gottesebenbildlichkeit nahezukommen … Die Liebe zum Sabbat ist die Liebe des Menschen für das, was er mit Gott gemeinsam hat. Daß wir den Sabbattag haben, ist ein Hinweis darauf, daß Gott den siebten Tag heiligte.

Der Sabbat ist eine Erinnerung an die beiden Welten – diese Welt und die zukünftige, er ist ein Beispiel für beide Welten. Denn der Schabbat ist Freude, Heiligkeit und Ruhe; Freude ist ein Teil dieser Welt, Heiligkeit und Ruhe gehören zur kommenden.

„Wie kostbar ist das Laubhüttenfest. Wenn wir in der Hütte weilen, wird sogar unser Körper von der Heiligkeit der Mitzwa umgeben“ sagte einst ein Rabbi zu seinem Freund. Worauf dieser antwortete: „Der Sabbat ist sogar noch mehr. Am Fest kannst du die Hütte für eine Weile verlassen, der Sabbat dagegen umgibt dich, wo immer du hingehst“.

Menucha, was wir gewöhnlich mit „Ruhe“ wiedergeben, heißt hier mehr als Abstand nehmen von Arbeit und Anstrengung, heißt mehr als frei sein von harter Arbeit, Mühe oder Tätigkeit irgendwelcher Art. Menucha ist kein negativer Begriff, sondern etwas Reales und durch und durch Positives. Das muß die Meinung der alten Rabbinen gewesen sein, wenn sie glaubten, daß ein besonderer Schöpfungsakt nötig war, um sie zu schaffen, daß das Universum ohne sie nicht vollkommen sein würde. „Was wurde am siebten Tag geschaffen? Gelassenheit, Heiterkeit, Frieden und Ruhe“ (Gen.rabba 10,9)

Der Sabbat ist der Tag, an dem wir die Kunst lernen, über die Zivilisation hinauszuwachsen…Die Lösung des schwierigsten Problems der Menschheit liegt nicht im Verzicht auf technische Zivilisation, sondern im Erreichen einer gewissen Unabhängigkeit von ihr… Am Sabbat leben wir sozusagen unabhängig von der technischen Zivilisation. Wir enthalten uns vor allem jeglicher Aktivität, die darauf abzielt, die Dinge des Raumes zu erneuern und zu ordnen.

Der Sabbat hat wie die Welt zwei Aspekte. Der Sabbat ist von Bedeutung für den Menschen und von Bedeutung für Gott. Er steht zu beiden in Beziehung und ist ein Zeichen des Bundes, den beide geschlossen haben. Was ist das Zeichen? Gott hat den Tag geheiligt, und der Mensch muß den Tag immer wieder heiligen, muß ihn erleuchten mit dem Licht seiner Seele. Der Sabbat ist durch Gottes Gnade heilig und bedarf dennoch aller Heiligkeit, die der Mensch ihm verleihen kann.

Observanz des siebten Tages ist mehr als eine Technik zur Erfüllung eines Gebotes.
(Anm: Observanz ist die Gesamtheit der Gebote, wie und in welcher Haltung man sie erfüllt)

Es ist ein alter Gedanke, daß der Sabbat und die Ewigkeit eins sind – oder gleichen Wesens. Eine Legende erzählt, daß Gott zu den Kindern Israel sprach als Er ihnen die Tora gab: Meine Kinder! Wenn ihr die Tora annehmt und meine Gebote befolgt, will ich euch auf ewig etwas höchst Kostbares geben, das ich besitze Und was, fragten Israel „ist diese Kostbarkeit, die Du uns geben willst, wenn wir Deine Tora befolgen?“

– Die zukünftige Welt
– Zeige uns in dieser Welt ein Beispiel für die zukünftige
– Der Sabbat ist ein Bild der zukünftigen Welt

Eine uralte Tradition erklärt: Das Kennzeichen der zukünftigen Welt ist von der gleichen Heiligkeit, wie sie der Sabbat in dieser Welt besitzt … Der Sabbat besitzt eine Heiligkeit, die jener der zukünftigen Welt gleicht.

Dieser Gedanke, daß wir ein Siebtel unseres Lebens als Paradies erfahren können, ist für die Heiden ein Ärgernis und für die Juden eine Offenbarung.

Das Gefühl für die Heiligkeit der Zeit drückt sich in der Art und Weise aus, in der der Sabbat gefeiert wird. Um den siebten Tag zu halten, ist kein ritueller Gegenstand nötig, anders als bei den anderen Festen, wo solche Dinge für die Observanz wesentlich sind, wie z.B. ungesäuertes Brot, Schofar, Lulaw und Etrog oder der Torahschrein. Am Sabbat verzichtet man sogar auf die Gebetsriemen, das Symbol des Bundes, die an allen Wochentagen getragen werden. Symbole sind überflüssig, der Sabbat ist selbst Symbol… An jedem siebten Tag geschieht ein Wunder: die Auferstehung der Seele, der Seele des Menschen und der Seele aller Dinge…“

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Erinnerungen an Christian – Bruchstücke

Maria S. schreibt: 

Erinnerungen an Christian. Bruchstücke, unsortiert, einfach was oben auf ist.

Bei einem Besuch in Berlin. Durch die Straße gehend.
An einem Platz kommt ein Obdachloser auf uns zu. Er sagt ganz aufgeregt etwas , was ich nicht verstehe.
Christian erklärt „Er wollte Dich auf das Müllauto hinter uns aufmerksam machen. Dich warnen. Ihm ist es schon passiert, das er mit Müll zusammen eingesammelt wurde.“

In Basel, bei Exerzitien auf der Straße:
Abschluss Fußwaschung. Ich sage warum willst Du allen die Füße waschen? Wir können das einer nach dem anderen für den je anderen tun.  Christian greift das auf.  Im Nachhinein , auch heute noch, denke ich, dass das schmerzhaft war für ihn.

Erste Begegnung:
Beim Treffen der Arbeitergeschwister. In der Runde erzähle ich was von mir- ich bin Schwäbin-  Christian: „Kannst Du auch deutsch reden?“ Nachher kommt er her, er entschuldigt sich nicht, aber er greift gefühlsmäßig seine Barschheit auf und ist mir nahe. Das ist der Beginn eines Weges.

Bei einem Besuch in Berlin.
Wir sitzen auf einer Bank an einem See und teilen eine Schokolade.
Er spricht von Jesus als Freund. Es war leibhaftig spürbar, wovon er sprach.

Bei Straßenexerzitien.
Wir suchen einen Ort, an dem wir von Erfahrungen erzählen können.
Das Erzählen gehört zu den Exerzitien. Heute noch trage ich ein befreiendes Lachen in mir: Christian geht einfach los und sucht einen Ort, an dem wir erzählen. Ich gehe neben ihm und es ist als ob wir direkt in der Bibel spazieren gehen.

Bei einem Treffen der Arbeitergeschwister.
In einer Pause. Ich gehe mit Christian ein paar Schritte. „Was ist ein Priester?“  Christian: „Ein Priester erinnert dich an die Würde, die Du in Dir trägst. Prophet, König, Gesalbter.“

Bei einem Besuch in Berlin.
Wir gehen zu einer Wagenburg, Köpenick. Wir dürfen das zu Hause einer Frau besuchen, die dort lebt, sie arbeitet halbtags in einer Schulküche. Sie selbst ist nicht da. Eine Ikone steht unter ihrem Schlafplatz. Christian: „Spürst Du es?  …   Einheit….“
Ich : „Ja“.

Ein Besuch in Aalen.
Christian lässt einen Spruch da. „Gehe eine Meile um einen Kranken zu besuchen, zwei um einen Gefangenen zu sehen. Gehe drei Meilen (oder mehr) um bei einem Freund zu sein.“

Christian stirbt und die Worte mit denen er den Tod begrüßt sind so echt wie sein ganzes Leben.

(Anmerkung: Gemeint ist das Gebet, das Christian im Januar 2022 schrieb:
DANKE
Du Tod, Sprung ins Leben
Du kündigst dich an
Du bist die abschließende Freude
Ich danke Dir für Dein Kommen
         Amen   Christian)

Er hat mich öfters gebeten von meinen Erfahrungen zu sprechen. (Auch mit denE Teegläsern als Hilfsmittel), ich konnte es nie.

Jetzt, mit ihm zusammen zu sprechen, das geht.

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Analoger und digitaler Nachlass von Christian Herwartz (SJ)

Christian hat drei Lesebücher / Textsammlungen herausgegeben, in denen BewohnerINNEN, Ex-BewohnerINNen, Freunde und Freundinnen sowie Weggefährten unserer Gemeinschaft zu Wort kommen. Zwei Titel sind noch erhältlich. Sie können bei uns in der WG abgeholt werden, liegen in Sankt Michael aus oder werden gegen Portokostenerstattung verschickt (außerhalb Berlins).

Cover


Geschwister erleben wurde 2010 von Christian Herwartz und Renate Trobitzsch herausgegeben. Anlaß war der 85. Geburtstag von Franz Keller, sein 60jähriges Ordensjubiläum und 30 Jahre in der Kommunität Kreuzberg in der Naunynstraße. Menschen in der Gemeinschaft und im Umfeld unserer WG – nah und fern – wurden eingeladen, sich durch Texte oder Bilder zu verschiedenen Themenbereichen einzubringen. Das Buch umfaßt 343 Seiten.


Folgende Schwerpunkte werden in den einzelnen Kapiteln aufgegriffen. 

  • Pilgern, Lebensentscheidungen, Exerzitien
  • Geschwister überall entdecken
  • Voll-, Teilzeit, Nichtbeschäftigung
  • Beziehungen zwischen Generationen, Machtmißbrauch
  • Mauern in und um Europa überwinden
  • Frieden, interreligiöses Gebet

Cover


Das Einfach-ohne-Buch hat Christian Herwartz zusammen mit Nadine Sylla 2016 herausgegeben. Auch hier tragen zahlreiche BewohnerINNen, Ex-BewohnerINNen und Weggefährtinnen zu unterschiedlichen Themenbereichen Texte, Bilder und Fotos bei. Rock’n Rollf (Rolf Kutschera) hat die einzelnen Kapitel-überschriften illustriert und das Cover gezeichnet. (288 Seiten)

 

Inhalt.

  • Einfach ohne Kolonialismus
  • Einfach ohne
  • Einfach ohne Vorgaben
  • Einfach ohne Schuhe
  • Einfach ohne Fragerei
  • Einfach offen
  • Einfach Mensch sein
  • Einfach in Fülle
  • Einfach gemeinsam
  • Einfach freiwerden
  • Einfach mit Solidarität
  • Einfach mit Hoffnung
  • Einfach mit Frieden
  • Einfach mit Geschichte
  • Einfach mit Zukunft

Christian hat zu den unterschiedlichen Themen, die ihm wichtig waren, Websites erstellt. Hier in der Wohngemeinschaft hat er die Exerzitien auf der Straße entdeckt. Die Seite wird schon seit einiger Zeit von Menschen aus der Gruppe der Begleiterinnen und Begleiter weitergeführt. 

Die jüngste Seite widmet sich den Arbeitergeschwistern und ihren Aktivitäten. Er schreibt dazu: „Mit dieser jüngsten Webseite laden wir interessierte Jüngere und Ältere ein, an unserem Weg eines gelebten Perspektivwechsels teil zu nehmen, einem politischen Schritt zur Menschwerdung aller. Unter uns finden sich Christen mit verschiedenen religiösen Traditionen und unterschiedlichem Engagement – darunter sind katholische Arbeiter-Priester, evangelische Arbeiter-Pfarrer*innen und besonders auch Engagierte ohne kirchliche Ämter.
Dokumente aus ihre solidarischen internationalen/interkonfessionellen Geschichte seit Anfang 1940 und aktuelle Fragestellungen werden greifbarer und sollen alle manuell arbeitenden Frauen und Männern verbinden, die sich für eine gerechtere, offene Gesellschaft engagieren. Das Thema des letzten europäischen Treffens in Essen 2017:
Prekarität und politischer Rechtsruck.“

Viele Jahre hat er im Flughafenverfahren dafür gekämpft, dass Mahnwachen vor dem Abschiebegefängnis (heute „Flughafengewahrsam“ stattfinden dürfen – bis hin zum Bundesverfassungsgericht, das ihm Recht gab. Er schreibt:

„Das Engagement für eine weitherzige Gastfreundschaft. Mit der langen Geschichte der „Ordensleute gegen Ausgrenzung“ in Berlin mit ihren Mahnwachen vor dem Abschiebegefängnis in Berlin-Köpenick, dem Widerstand gegen das Verbot der Mahnwachen vor dem neuen Abschiebegefängnis auf dem Flughafen Schönefeld und der gerichtlichen Klärung vor dem Bundesgericht, das entschied:
Straßen sind  auch in umzäunten Gebieten Straßen, also Orte öffentlich geschützte Meinungsäußerung. Nebenbei das Gericht sagte in der öffentlichen Verhandlung:
Straßen können auch die Gänge in Kaufhäusern sein.“

In unheilige Macht schuf er einen Austauschort zum Themenbereich „der Jesuitenorden und die Mißbrauchskrise“. Dazu erschien das gleichnamige Buch. Er schreibt dazu: 

„Diese Internetseite wurde im November 2012 als interaktiver Blog eingerichtet und nun in eine Webseite umgewandelt. Die Auseinandersetzungen der letzten fünf Monate sind weiter nachzulesen…“

Auch dieses Weblog über die Wohngemeinschaft in der Naunynstraße, gehört zu seinem Erbe.

Nachtrag:

 Das Buch „Gastfreundschaft – 25 Jahre Wohngemeinschaft Naunynstraße“ ist nicht mehr erhältlich. Der Inhalt steht komplett online auf Christians Blog „nackte Sohlen“ und zwar hier. Wir sind immer wieder entsetzt erstaunt, zu welch astronomischen Preisen es im Internet angeboten wird. Es war – wie alle von Christian herausgegebenen Büchern umsonst erhältlich, wurde verschenkt und wer wollte konnte eine Spende zu den Druckkosten geben. 

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Von Häuptling Seattle zu Häuptling White Eagle

Vor 40 Jahren zu Beginn der Ökologie-Bewegung spielte die Rede von Häuptling Seattle „wir sind ein Teil der Erde“ eine große Rolle. Nun findet ein Text seinen Weg durch die sozialen Medien von Häuptling White Eagle. Eine Mitbewohnerin hat ihn entdeckt:

Der Häuptling der Hopi-Indianer, White Eagle, äußerte sich vor einigen Tagen zur aktuellen Situation:

„Diesen Moment, den die Menschheit gerade erlebt, kann man als eine Tür oder ein Loch betrachten. Die Entscheidung, ob du in das Loch oder durch die Tür fällst, liegt bei dir. Wenn du 24 Stunden am Tag die Nachrichten konsumierst, mit negativer Energie, ständig nervös, pessimistisch, wirst du in dieses Loch fallen.

Aber wenn du die Gelegenheit ergreifst, dich selbst zu betrachten, über Leben und Tod nachzudenken, dich um dich selbst und andere zu kümmern, dann wirst du durch das Portal gehen.

Kümmere dich um dein Zuhause, kümmere dich um deinen Körper. Verbinde dich mit deinem spirituellen Zuhause. Wenn man sich um sich selbst kümmert, kümmert man sich gleichzeitig auch um alle anderen.

Unterschätze die spirituelle Dimension dieser Krise nicht. Nimm die Perspektive eines Adlers ein, der alles von oben sieht und einen weiten Blick hat. Diese Krise ist eine soziale Frage, aber auch eine spirituelle Frage. Die beiden gehen Hand in Hand.

Ohne die soziale Dimension verfallen wir in Fanatismus. Ohne die geistige Dimension verfallen wir in Pessimismus und Aussichtslosigkeit.

Du bist bereit, dich dieser Krise zu stellen. Hole deinen Werkzeugkasten und benutze alle Werkzeuge, die dir zur Verfügung stehen.
Lerne Widerstand am Beispiel der indigenen und afrikanischen Völker: Wir wurden und werden ausgerottet. Aber wir haben nie aufgehört zu singen, zu tanzen, ein Feuer anzuzünden und uns zu freuen. Fühle dich nicht schuldig, wenn du in diesen schwierigen Zeiten glücklich bist. Traurig oder wütend zu sein, hilft überhaupt nicht. Widerstand ist Widerstand durch Freude!

Du hast das Recht, stark und positiv zu sein. Und es gibt keinen anderen Weg, dies zu tun, als eine schöne, glückliche und strahlende Haltung zu bewahren. Es hat nichts mit Entfremdung (Unwissenheit über die Welt) zu tun. Es ist eine Strategie des Widerstandes.

Wenn wir die Schwelle überschreiten, haben wir einen neuen Blick auf die Welt, weil wir uns unseren Ängsten und Schwierigkeiten gestellt haben. Das ist alles, was du jetzt tun kannst:

– Gelassenheit im Sturm
– Ruhe bewahren, jeden Tag beten
– Mache es dir zur Gewohnheit, dem Heiligen jeden Tag zu begegnen.
Zeige Widerstandsfähigkeit durch Kunst, Freude, Vertrauen und Liebe.

Häuptling der Hopi-Indianer, White Eagle 9. Juli 2021

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Urlaubszeit – Nichtstun – Müßiggang

Müßiggang ist aller Laster Anfang, hieß es früher im Volksmund. Ich würde sagen: Müßiggang ist allen guten Lebens Anfang, ist Lebenskunst. Einfach mal nichts tun ist Widerstand gegen die heillose Hektik unserer Zeit, gegen Konsumrausch und Selbstoptimierungszwang. Der Advent ist eine Zeit, in der Nichtstun sogar zur religiösen „Tugend“ wird: eine Zeit der Unterbrechung des Alltags mit seinen hundertfachen Anforderungen und Erwartungen an uns. Eine Zeit der Offenheit für Unerwartetes, der Besinnung auf das Wesentliche und der stillen Gewissheit, dass da eine Verheißung in der Luft liegt: dass da etwas kommen wird, das nicht einfach machbar ist und über unsere Erwartungen hinausweist.

Doris Strahm
(aus: S. Burster, P. Heilig, S. Herzog: Frauenkalender 2020 Was wag
en)

Was Doris Stahm hier über den Advent schreib läßt sich auch auf die Ferien und Urlaubszeit übertragen. In der Mediathek vom ORF Radio findet sich eine Sendung Diagonal: Zum Thema Nichtstun entdeckt mit Dank an Herrn Hauptschulblues.

Allen, die hier mitlesen schöne Sommertage daheim oder woanders.

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Pfingsten 2021

Pfingsten – ein schwieriges Fest. Was feiern wir da eigentlich? Wie ist das mit der Be-Geist-erung nach dieser langen Zeit der Pandemie?

„Du hast schon lange nichts mehr auf die Tassen geschrieben“ – meint ein Mitbewohner. Ich nehme den Denkanstoß auf. Pfingsten ist ein guter Anlaß dafür:

Tassen am Geschirr-Regal

Jede/r Mitlesende darf sich was aussuchen:
Freude – Kreativität – Mut – Trost – Stärke – Ruhe – Vollendung – Klarheit – Kraft – Weisheit – Gnade – Erkenntnis – Sanftmut – Mut –  Geduld – Unterscheidungsfähigkeit – Friede – Reinheit – Freundlichkeit – Klarheit – Gelassenheit – Glaube …

Allen, die es feiern, ein frohes Pfingstfest mit einigen Zeilen von Karl Rahner:

Ich glaube an den Heiligen Geist.
Ich glaube, dass er meine Vorurteile abbauen kann.
Ich glaube, dass er meine Gewohnheiten ändern kann.
Ich glaube, dass er meine Gleichgültigkeit überwinden kann.
Ich glaube, dass er mir Fantasie zur Liebe geben kann.
Ich glaube, dass er mir Warnung vor dem Bösen geben kann.
Ich glaube, dass er mir Mut für das Gute geben kann.
Ich glaube, dass er meine Traurigkeit besiegen kann.
Ich glaube, dass er mir Liebe zu Gottes Wort geben kann.
Ich glaube, dass er mir Minderwertigkeitsgefühle nehmen kann.
Ich glaube, dass er mir Kraft in meinem Leiden geben kann.
Ich glaube, dass er mir einen Bruder an die Seite geben kann.
Ich glaube, dass er mein Wesen durchdringen kann.
(Karl Rahner)

Aus früheren Jahren:
Gruss zu Pfingsten 2020 – Gedicht
Schawuot und Pfingsten am gleichen Tag
Gedanken von Dietrich Bonhoeffer zu Pfingsten 1944
Gedicht von Wilhelm Bruners zu  Pfingsten

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