Die Nachbarbloggerin lädt wieder – weil der 5. des Monats ist – zum Tagebuchbloggen ein. #WmdedgT ist das Motto: Was machst du eigentlich den ganzen Tag. Und der Tisch im Wohnzimmer unserer WG kommt wieder zu Wort über das, was sich hier rund ums Wohnzimmer abspielt:
Kurz vor 8.00 Uhr ist es noch recht still. Ich bin schon eingedeckt für das gemeinsame Frühstück. Weil Donnerstag ist, kommt vielleicht jemand von den Nachbarn dazu. Der Kachelofen neben mir ist schon eingeheizt worden. Derzeit sind zwei Gäste für einige Tage hier – einer aus Freiburg und einer aus Werl. Beide haben früher hier in Berlin gelebt, deshalb kenne ich sie schon. Die Themen beim Frühstücksgespräch kreisten heute – nicht nur aber vorwiegend – um schwierige Themen:
– die Sternsinger kommen am Samstag ab 10.00 Uhr
– Folgen von Kriegstrauma bei älteren Menschen
– die sieben Babys vom Konzentrationslager Kaufering
– Überleben nach dem Überleben
– Erfahrungen mit (Ver-)Schweigen und Reden bei Überlebenden der Schoah und nicht-jüdischen Deutschen: Dynamiken von Schuld und Scham
Darauf kamen die BewohnerINNEN, weil vor kurzem ein Besuch hier war, der seine Mutter nicht kennengelernt hat und davon erzählt hat. Sie wurde in einer Nervenheilanstalt in der Nazizeit umgebracht, weil sie aufgrund ihrer Krankheit als „lebensunwertes Leben“ galt.
Am Vormittag wurden dann noch die Details zum Sternsinger-Besuch besprochen. In Berlin sind Katholiken eine kleine Minderheit – in der WG auch seit keine Jesuiten mehr hier leben. Die Sternsinger gehen nicht von Haus zu Haus wie das in katholisch geprägten Gegenden Brauch ist, sondern besuchen Familien, von denen sie eingeladen werden. Die Interessierten tragen sich an den beiden Sonntagen vorher in Kirchengemeinden in eine Liste ein oder rufen im Pfarrbüro an.
So haben wir erfahren, daß die Sternsingergruppe mit den erwachsenen Begleitern – jemand von den Eltern oder der Kirchengemeinde – ab 10.00 Uhr zu unserem
offenen Samstagsfrühstück kommen werden. In Berlin kann man Kindergruppen, die als Sternsinger verkleidet sind, nicht alleine losgehen lassen. Das Risiko, daß sie von nicht wohlmeinenden Erwachsenen
dumm angemacht aggressiv angesprochen werden oder gar gewalttätige Übergriffen ausgesetzt sein könnten, ist zu groß.
Die Sternsingeraktion sammelt dieses Jahr für Projekte in Asien. „Kinder stärken – Kinder schützen in Indonesien und weltweit“ lautet das Motto der aktuellen Sternsingeraktion 2023. Die Organisatoren schreiben:
„Weltweit leiden Kinder unter Gewalt. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass jährlich eine Milliarde Kinder und Jugendliche physischer, sexualisierter oder psychischer Gewalt ausgesetzt sind – das ist jedes zweite Kind.“
Gleichzeitig wird an diesem Tag für einen Mitbewohner, der mehrere tausend Kilometer von zuhause weg ist, sein griechisch-orthodoxes Weihnachten sein. Dafür wird ein besonderes Abendessen geplant.
Am Vormittag – bei einem Telefongespräch – hat K. erzählt, daß sie vor fünfzehn Jahren an Sylvester mit ihrer kleinen Tochter auf dem Arm im Wassertor-Kiez von Jugendlichen durch das Viertel gejagt wurde. Seitdem geht sie am 31. Dezember nicht mehr raus. „Und jetzt wundern sich alle über die Jugendgewalt dieses Sylvester. Die haben die letzten 15 Jahre nichts gemacht. Ich wundere mich nicht“ sagt sie. Die Polizei hat sie damals nicht ernst genommen, obwohl eine Frau, die zur gleichen Zeit dort unterwegs war, ein Auge verloren hat. Der Wassertor-Kiez liegt zwischen Halleschem Tor und Kottbusser Tor beim U-Bahnhof Prinzenstraße.
K. ist als Märchenerzählerin ausgebildet und unterwegs. Sie wird am 15. Januar um 15.00 Uhr zu uns kommen und hier im Wohnzimmer „Frau Holle“ mit Geigenbegleitung uns und Freunden der WG erzählen.
Danach wurde der Hefeteig für den
Dreikönigskuchen angesetzt. Hier kann man ein früheres Exemplar sehen. Bei uns wird er nach Schweizer Rezept gemacht, obwohl wir derzeit niemand aus der Schweiz bei uns wohnen haben, aber manche (kulinarischen) Traditionen erhalten sich.
Zum Mittagessen gab es für die vier Anwesenden Reste vom Kartoffelauflauf mit Salat. Der Besuch aus Freiburg war im Marienstift gewesen, wo er unseren lange Zeit ältesten Mitbewohner,
Bruder Christian (derzeit 90 Jahre) nach einer Corona-Infektion besucht hat und berichtete davon. Inzwischen muß man sich nicht mehr im Heim anmelden für ein Zeitfenster, sondern kommt mit einem tagesaktuellen Corona-Test tagsüber ins Haus (außer zwischen 12 und 14 Uhr). Bruder Christian ist noch sehr geschwächt und freut sich über jeden Besuch auch wenn er nicht mehr jede/n erkennt, der kommt. Da der Corona-Test im nahegelegenen Testzentrum inzwischen 10 Euronen kostet wenn man keinen Nachweis hat, daß man jemand im Krankenhaus oder im Seniorenheim besucht, hat der Freiburg-Besuch für einige Mitbewohner Bestätigungen von der Verwaltung des Heimes mitgebracht und auf mir abgelegt.
Der Nachmittag verlief unspektakulär. Ein Einkauf bei Aldi war fällig – zu teilweise spektakulären Preisen. Der Frischkäse, der jahrelang 89 Cent kostet, wird inzwischen – wie ich höre – für 1,59 Euro unters Volk gebracht. Ein Bewohner kam vom Betriebsausflug ins Potsdamer Biosphären-Reservat oder so ähnlich zurück und hat ganz begeistert davon erzählt, obwohl er am Abend zuvor überhaupt keine Lust dazu hatte.
Der Besuch aus Werl, Bruder Winfried von der Emmaus-Gemeinschaft, war auch unterwegs. Er spielt mehrere Instrumente und hat eine
englische Concertina dabei – eine Art Mini-Akkordeon. Am Anhalter Bahnhof hat er im Zwischengeschoß Straßenmusik gemacht. Uns hat er abends einige Volkstänze und Volkslieder aus verschiedenen Ländern vorgespielt (z.B. Irland und Moldawien). Einige Bewohner hatten noch Lust zu singen und wurden von Bruder Winfried begleitet.
Danach wurde noch im Internet gesurft und Näharbeiten gemacht, die Küche aufgeräumt und der Kachelofen für die Nacht mit einem Brikett, das mit nassem Zeitungspapier umwickelt ist, gefüttert, damit er nicht auskühlt bis zum Morgen..
Als der Computer für den ersten Teil dieses Eintrags hochgefahren wird, gratuliert wordpress zum Bloggeburtstag, zwar einen Tag zu früh, aber 2016 ging es hier los.
Inzwischen gibt es 658 Blogposts – mit diesem dann 659. Letztes Jahr waren etwas über 6900 BesucherINNEN hier, die etwas mehr als 17 000 Seiten aufgerufen haben. Ganz schön viel für so ein WG-Nischenblog.
Zum Weiterlesen:
Was andere BloggerINNEN heute am 5. Januar 2023 gemacht haben, wird
hier (nach unten zur Liste durchscrollen) erzählt.
Die „Heiligen Drei Könige“: Was Bibel und christliche Traditionen dazu meinen steht
hier
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