Vor zwei Tagen hatte ich einen Blogbeitrag über Conny und ihr Engagement gegen die Durchsetzungsinitiative verfaßt und zwar hier. Ich habe Conny eingeladen, selber ein paar Zeilen zu schreiben, was sie zu diesem Engagement gebracht hat.
Conny schreibt: Im Sommer 2015, während meinen 10tägigen Exerzitien auf der Strasse, wachte ich kurz vor Ende dieser guten Zeit nachts auf. Ein starker und deutlicher innerer Anruf, doch einmal wirklich genau hin zu sehen, ließ mich nicht mehr in den Schlaf finden.
Dann fiel es mir plötzlich, im wahrsten Sinne des Wortes, wie Schuppen von den Augen. Ich fand mich emotional und gefühlsmäßig zutiefst verbunden mit den Menschen, die in der Ausschaffungshaft sitzen.
Genau hier befand sich mein tiefster Schmerz, meine grösste Verletzung. Tagelang hatte ich mich während den Exerzitien davor gescheut hin zu sehen und auch hinzugehen. Doch in dieser Nacht verband sich mein Leid mit dem Leid dieser Menschen. Ich fühlte meinen Schmerz und konnte gleichzeitig den Schmerz meiner Geschwister fühlen. Nicht willkommen, weggestossen, ausgeschafft, abgeschafft!!!
Es wäre besser, wenn es dich/euch gar nicht erst gäbe. Weinend betete ich meinen Namen Gottes, der mir in dieser Nacht geschenkt wurde. Nach diesem Erlebnis war mir klar, dass meine Exerzitien im Oktober mit der Mahnwache vor der Abschiebehaft am Flughafen Schönefeld in Berlin weitergehen werden. Ich musste dahin und mich solidarisch zeigen!
In der Schweiz wurde die Ausschaffungsinitiative 2010 angenommen. Nun hat die Schweizerische Volkspartei, der rechte Flügel im Parteienspektrum und deren Anhänger, das Gefühl, dass die Regierung diese Initiative zu lasch oder gar nicht umsetzt. Sie bringen am 28. Februar eine neue Initiative an die Urne: die Durchsetzungsinitiative. Diese Initiative setzt den Rechtsstaat, die Gewalten-teilung und die Menschenrechte außer Kraft!
Hier ein kleines Beispiel zu den möglichen Folgen: Der 19-jährige Hochbauzeichner- lehrling José Zúñiga, Sohn chilenischer Eltern, ist an einem lauen Freitagabend im Sommer mit Freunden unterwegs; sie grillieren am See, trinken über den Durst. Als ihr Getränkevorrat zur Neige gegangen ist, beschließt die Clique, sich Nachschub zu besorgen – im Kiosk der lokalen Seebad.
José Zúñiga, angetrunken und angestachelt durch seine Kumpel, übernimmt die Sache: Er hebt eine Holzverriegelung aus den Angeln, bricht in den Kiosk ein und schnappt sich ein paar Flaschen Bier aus dem Kühlschrank. Am Tag darauf plagt José Zúñiga das schlechte Gewissen. Er beichtet die Tat seinen Eltern. Sie überzeugen ihren Sohn, sich bei der Polizei zu melden und sich bei der Badi zu entschuldigen. Die Staatsanwaltschaft brummt dem 19-Jährigen eine geringfügige bedingte Geldstrafe auf. Zúñiga will die Verfahrenskosten und die Buße mit seinem Lehrlingslohn abstottern, doch damit ist es nicht getan: Er wird für zehn Jahre des Landes verwiesen und muss nach Chile, wo er nie gelebt hat. Mit seinem Einbruch erfüllt Zúñiga die Straftatbestände Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Diebstahl – darauf steht die automatische Ausschaffung.
Ich setzte momentan alles mir Mögliche ein, dass diese unmenschliche Initiative nicht angenommen wird. Ohne meine Erfahrungen bei den Strassenexerzitien wäre ich nicht auf diesem Weg – auf dieser Strasse! Dem Geist Gottes sei Dank!
Conny Pieren, Thun, Schweiz, 16.02.2016
Nachtrag 28. Februar 2016: Die Durchsetzungsinitiative wurde bei der Volksabstimmung abgelehnt.