Erinnerung ohne Foto (8): Vor der russischen Botschaft mit Christian Herwartz

Neulich beim Samstagsfrühstück hat uns Moritz, ein junger Jesuit besucht und von seiner Promotion an der Uni in Peking erzählt. Dabei kamen wir auch darauf zu sprechen, wie er Christian Herwartz kennengelernt hat:

Christian Herwartz hielt, als ich ihm das erste Mal begegnete, ein Pappschild und protestierte. Im Kerzenschein standen wir auf dem Mittelstreifen Unter den Linden. Schweigend und betend, sangen und riefen wir mit Megaphon Texte in Richtung des großen dunklen Gebäudes auf der anderen Straßenseite. Die kleine Menschentraube gedachte zweier ermordeter Jesuiten und demonstrierte für Aufklärung.

Es war Herbst 2008, vor der Russischen Botschaft. Dort würde er vielleicht auch heute wachen. Was stünde auf seinem Pappschild? Als ich ihn damals unter den Versammelten wahrnahm, hielt ich ihn aufgrund seines Erscheinungsbildes tatsächlich für einen obdachlos auf der Straße Lebenden, der sich vermutlich von dem Brennen der Kerzen eingeladen gefühlte hatte und spontan gefolgt war. Im Kern trifft ihn das wohl ganz gut. Er war ein echter Alternativer, und er hat überraschende Alternativen vorgelebt (Lk 10,4). Zum Beispiel die Alternative zur Angst. Wie kann ich mich von meinen Sehnsüchten anstatt von meiner Angst treiben lassen (Ex 3,3)?

Der Zugang gelingt über die Frage: „Was ärgert mich?“. Hinter dem Ärger steht eine wahre Sehnsucht. Oder die Alternative zum Machtanspruch: Gastfreund-schaft, die für den Rollenwechsel offen ist, d.h. in der ich den Fremden zum Gastgeber werden lassen kann (Lk 24,30). Im asymmetrischen Helfersein kann eben auch ein Machtanspruch liegen. Der Machtanspruch der einen und die Angst der anderen – vielleicht wären das Themen, durch die die kleine Menschentraube auf dem Mittelstreifen Unter den Linden in Megaphon und Gebet heute verbunden wäre. Es sind Themen, die auf der Straße vor der Russischen Botschaft so relevant sind wie auf der Straße des Alltags (Joh 14,6).

 Lk 10,4: Tragt keinen Geldbeutel bei euch, keine Tasche, keine Schuhe, und grüßt niemanden auf der Straße.
Ex 3,3: Da sprach er: Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt.
Lk 24,30: Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen
Joh 14,6: Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben;

Zum Weiterlesen:
Weitere Erinnerungsfotos an Christian sind hier
Besuch aus China beim Samstagsfrühstück

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2 Gedanken zu „Erinnerung ohne Foto (8): Vor der russischen Botschaft mit Christian Herwartz

  1. hallo in die Runde, hallo Moritz, ja Christian war ein besonderer alternativer Mensch.

    Ich habe ihn heute gefragt, wo er jetzt mahnend stehen würde, er nannte viele Orte, auch die israelische und die amerikanische Botschaft, den (Deutschen Reichstag) Deutschen Bundestag. Er würde dem Papst die WeißeFahne nicht aus der Handschlagen, wie z. B. die laute, krieglüsternde „Elite“, die „Öffentlichen“ in Deutschland, er würde wohl die „Weißen Frauen“ in Palästina besuchen. Er ist immer noch ein ganzer Mensch.

    Traurig denke ich an den runden Tisch. Bernd Münster

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