#WmdedgT Januar 2024: voller Erinnerungen

Heute ist wieder der 5. des Monats und Frau Brüllen lädt zur Blogparade ein: Jede/r darf zur Förderung des Tagebuchbloggens beitragen und erzählen, was den Tag über passiert ist. #Wmdedgt heßt die Aktion: Was machst du eigentlich den ganzen Tag? Die einzelnen Postings werden dann auf der Seite von Frau Brüllen verlinkt und zwar hier. Wer mag, findet dort dann, was Menschen aus unterschiedlichen Orten – meist im deutschsprachigen Raum – erlebt haben. Für unsere WG übernimmt die Berichterstattung unser Wohnzimmertisch. Er ist inzwischen ganz gut in Übung, denn wir beginnen heute das zweite Teilnahmejahr und waren 2023 jeden Monat dabei.

Hallo an alle, die hier mitlesen. Heute bin ich wieder dran: Der Wohnzimmertisch aus der WG Naunynstraße. Ich bin am längsten dabei und stand schon in der Vorgängerwohnung im Wrangelkiez. Hier in der Naunynstraße haben wir in diesem Jahr das 40jährige Jubiläum.  Ich bewahre auch ganz viele Erinnerungen auf.

Der Mitbewohner, der viel nachts arbeiten muß, hat schon den Kachelofen angeheizt bevor er sich hingelegt hat. 

Heute ging es schon früh los. N. aus Italien war wieder eine Woche zu Besuch bei uns. Zwischen den Jahren ist hier immer die Hütte besonders voll. M. ist nach zwei Wochen gestern wieder nach Hause gefahren, und N. ist heute um sechs Uhr aufgebrochen und hat sich von den meisten gestern verabschiedet. N. kommt jedes Jahr seit mehr als 25 Jahren – außer zur Corona-Zeit und einmal hatte er eine Rückenoperation. Aber dieses Mal war es endlich wieder so weit. Er hat in der zweiten Hälfte der 1990iger Jahre hier länger gelebt  Er tankt hier immer Energie für das ganze Jahr auf, sagt er und geht an die Orte, die für ihn hier in Berlin wichtig waren. Die WG war der Ort, an dem er sich nach dem Josefshof stabilisiert hat. Dort war er direkt nach seinem Drogenentzug. Darf ich alles erzählen, weil er selber öffentlich davon spricht. Camillo vom Josefshof, der total abgelegen in Brandenburg ist, hat ihn damals in die Naunynstraße zu Christian geschickt.  Heute fliegt er zurück zu seiner Familie, seinen Kindern. Leider läuft es nicht bei jedem so gut.

Vor N. gegangen ist, hat er noch einen Kaffee getrunken und sich mit Iris unterhalten. Die beiden haben sich erinnert, daß heute der 7. Todestag von Marc ist. Damals war N. auch gerade da als Marc in der Nacht starb. Der hatte ein Jahr auf der Fazenda gelebt und war drogenfrei nach 25 Jahren Heroinabhängigkeit. Eigentlich wollte er am morgen zu einer Konferenz nach Augsburg fahren und wollte danach nach Italien gehen um dort eine neue Fazenda mit aufzubauen. Marc wurde dann am späten Vormittag tot in seinem Bett aufgefunden. Das war ein Schock für alle. Dann kam auch noch die Polizei und hat die Bewohner befragt, weil Fremdverschulden ausgeschlossen werden mußte. Das war für einige migrantische Bewohner, die von Polizeigewalt betroffen waren, ganz schön schwierig. N. wußte noch gar nicht, was damals bei der Obduktion herausgekommen war.

Für Marc wird heute eine Kerze angezündet. Er ist hier nicht vergessen. Wenn die Fazenda sehr viele geschenkte Lebensmittel übrig hatte, hat er sie uns vorbei gebracht.  An unserer Gedenkwand hängt ein Foto von ihm. Das haben uns seine Eltern noch geschickt. Sie waren hier und haben seine Sachen abgeholt. Er hat keine Beerdigung bekommen. Seine Eltern waren enttäuscht von ihm und haben ihn anonym bestatten lassen. Niemand weiß, wo sein Grab ist. Für die Bewohner der Naunynstraße und die anderen Rekuperanten auf der Fazenda, die mit ihm zusammen gewesen waren, war das schwer zu verkraften. Auf der Fazenda und in Sankt Michael Kreuzberg wurden dann für ihn Gottesdienste gefeiert. Das war ganz wichtig um Abschied nehmen zu können.

Noch vor dem Frühstück wurde ein Hefeteig für die Challah, das Schabbatbrot, angesetzt. Es wird bei uns jeden Freitag gebacken. 

Am Vormittag kam dann die Mail, dass am 22. Januar das letzte Buch von Christian Herwartz, einem der Gründer unserer WG, herauskommt: Freude – Erfahrungen mit Straßenexerzitien. Der Verlag schreibt dazu: 

Der Jesuit Christian Herwartz, der die »Exerzitien auf der Straße« entwickelte, verstarb am 20.2.2022. Er hinterließ mehrere Texte, die nach seinem Wunsch ein Buch werden sollten. Dieses sollte auf die Frage eingehen, wie die geistlichen Übungen – insbesondere die Straßenexerzitien – im Alltag weiterwirken. Marita Lersner und Klaus Mertes haben die Texte entlang der vorgegebenen Struktur geordnet sowie Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Straßenexerzitien gebeten, das Buch mit ihren eigenen Reflexionen und Berichten zu ergänzen. So wird in der Vielfalt der Erfahrungen deutlich, dass die geistlichen Übungen auf der Straße auch den Lebensalltag zur Straße machen,…

Für Sonntag den 28. Januar ist schon eine Lesung angekündigt nach der Abendmesse in St. Canisius um 19.30 h.

Da die meisten Bewohner unterwegs waren, gab es kein gemeinsames Mittagessen. Es wurden Einkäufe erledigt, Vorbereitungen für Schabbat und den Besuch der Heiligen drei Könige (Süßigkeiten) und einer Studentengruppe, die morgen Nachmittag kommt, getroffen. Ein Bewohner hat unsere Krippe zu einer Dreikönigskrippe mit den Königen im Mittelpunkt umgestaltet. Die Hirten wurden in den Hintergrund plaziert..

Am späten Nachmittag wurde dann ein Dreikönigskuchen gebacken. Die Schweizer und die französische Variante kennen wir bereits. Dieses Jahr ist eine spanische Version dran: Roscón de Reyes. Weil unsere griechisch-orthodoxen Bewohner ab morgen Abend ihr Weihnachtsfest feiern und einer von ihnen besonders gern Karamell in allen Varianten und Aggregatszuständen mag, wird der Kuchen mit Karamellcreme gefüllt. Er sah sehr kronenmäßig aus, weil auch vorne  an der Außenseite Tupfen gespritzt waren..

Roscón de Reyes - spanischer Dreikönigskuchen

Von Elisabeth, einer lieben und langjährigen Freundin, die uns letztes Jahr das besondere Bild von Christian gebracht hat, kam Post.  Sie hat sich für unsere Weihnachtsgrüße bedankt und eine Karte von Marc Chagall beigelegt, die die Errettung von Moses aus dem Nil zeigt. Wie aufmerksam: Genau das ist an diesem Schabbat der Wochenabschnitt, der in den Synagogen gelesen wird: Schemot (2. Buch Mose, Kapitel 1 bis 6). Der Exodus-Zyklus von Chagall ist hier (es ist das dritte Bild).

Ein Bewohner hat sich vorgenommen noch die Krippenmeile in der Körtestraße am Südstern zu besuchen. In den Geschäften sind Krippen aus verschiedenen Materialien und aus unterschiedlichen Ländern in der Adventszeit bis zum 6. Januar ausgestellt. Es lohnt sich.

Krippe aus Mali (Recycling-Material)

Zum Schabbat-Abendessen hatte der Chefkoch marinierte Hühnerschenkel gemacht. Zum Nachtisch gab es Obstsalat und danach noch den leckeren Kardamomtee.  Der Abend wurde entspannt auf die eine oder andere Weise verbracht.

Zehn Minuten vor Mitternacht fand sich dann ein vierblättriges Kleeblatt ein um den G-ttesdienst der Central Synagogue in New York zum Schabbatbeginn zu folgen. So viele waren es noch nie. Für einen Mitbewohner, der kein Englisch versteht, wurden die wesentlichen Teile übersetzt. Abgeschlossen wurde der Abend dann mit dem „Adon Olam“ der sephardischen Synagoge in Montreal auf die Melodie von „Sound of  Silence“ – unbedingte Hörempfehlung: (Die deutsche Übersetzung ist hier).

Zum Weiterlesen:

Eine Bibliolog-Meditation „ein Stern geht auf“ zu den Heiligen 3 Königen mit Figuren unserer Krippe aus Simbabwe ist hier.

Mehr Beiträge über den 5. Januar 2024 gibt es bei Frau Brüllen hier.
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